Der Film der Woche

Neuigkeiten aus Lappland

14.11.2024

Mit ihrem zweiten Film NEUIGKEITEN AUS LAPPLAND ist der finnischen Autorin und Regisseurin Miia Tervo eine echte Perle gelungen: Was als Slapstick-Komödie beginnt, entpuppt sich irgendwann als Drama über toxische Beziehungen.

1984 im finnischen Lappland. Die alleinerziehende Mutter Niina demoliert aus Versehen das Panoramafenster der „Lappland News“. Der Chef des harmonieliebenden Käseblättchens lässt sich von ihr überreden, den Schaden mit selbstgeschriebenen Artikeln wieder auszugleichen – heitere Themen vorausgesetzt! Niina aber glaubt, an einer großen Story dran zu sein. Hat wirklich niemand außer ihr den ohrenbetäubenden Knall gehört? Als finnische Verteidigungskräfte in dem Dörfchen anrücken, verdichten sich die Hinweise, dass im Eis eine sowjetische Rakete abgestürzt ist. Die lethargischen Lappländer wollen von atomarer Angst aber nichts wissen. Doch Niina verwickelt sich in eine absurde Investigativ-Recherche, auf der die Wahrheit immer nur eine Raketenlänge entfernt ist.

Bereits mit ihrem ersten Film „Aurora“ (2019) hat sich die finnische Drehbuchautorin und Regisseurin einen Namen gemacht. Der eindrucksvolle Film mit Mimosa Willoma in der Hauptrolle lief 2019 bei den Nordischen Filmtagen in Lübeck, hat aber leider nie einen deutschen Verleih gefunden. Der Film wurde insgesamt sieben Mal mit dem Jussi-Preis ausgezeichnet, dem nationalen Filmpreis in Finnland, u.a. für das beste Drehbuch und die beste Regie.

in ihrem zweiten Film NEUIGKEITEN AUS LAPPLAND lässt uns Tervo anfangs glauben, wir befänden uns in einer absurden Komödie. Allein die Vokuhila-Frisuren der Männer sind zum schießen komisch, die Situationskomik tut dann ihr Übriges. Doch das ist nicht das Ziel der Regisseurin, denn schon bald führt sie uns in ernstere Gefilde, wenn sie das Thema einer toxischen Beziehung aufgreift. In mindestens einer Szene bleibt einem dann das Lachen im Halse stecken – doch das möchte ich hier aus Spoilergründen nicht verraten. Tervo gelingt es aber, das Hässliche mit dem Lustigen in eine Balance zu bringen, ohne dabei die Schwere klein zu reden. Vielleicht braucht man die Komik aber auch einfach, um die weniger schönen Teile der Geschichte zu ertragen.

Doch nicht nur das. Tervo verbindet die beiden Geschichten geschickt miteinander und findet Parallelen zwischen ihnen. Denn beide handeln von Grenzüberschreitungen: Die russische Rakete, die in finnisches Staatsgebiet eindringt und der Partner, der seine Grenzen nicht kennt.

Der Film beruht zudem auf einer wahren Begebenheit. 1984 landete tatsächlich eine russische Rakete in Finnland und die Regierung setzte alles daran, das Ganze zu vertuschen. „Jahrzehntelang spielte Finnland gegenüber seinem östlichen Nachbarn die unterwürfige und lächelnde Rolle der geschundenen Ehe- frau. Es war besser, zu gefallen, als das Ziel eines weiteren Attentats zu werden“, so Miia Tervo. Und in einer übergriffigen Beziehung ist es oftmals ähnlich: „Was tue ich, wenn jemand meine Grenzen verletzt? Lache ich und tue so, als wäre es nichts? Mache ich einen Witz daraus und weine trotzdem am Abend? Oder nehme ich es ernster – aber natürlich nicht zu ernst und übertrieben. Kontrolliere ich meine Emotionen selbst oder lasse ich mich abwerten, weil ich mich aufgrund der schlimmen Dinge, die ich erlebt habe, unwürdig fühle?“

Diese Fragen versucht Tervo in NEUIGKEITEN AUS LAPPLAND zu beantworten – auf die typisch finnische Art und Weise mit lakonischem Humor. Und der funktioniert hier extrem gut – obwohl das Thema heute aktueller ist als je zuvor. Als Tervo das Drehbuch schrieb, war an einen russischen Überfall auf die Ukraine noch nicht zu denken.

Mit NEUIGKEITEN AUS LAPPLAND ist Miia Tervo eine eindrucksvolle Tragikomödie gelungen, die überraschend viel Tiefgang hat. Typisch finnisch halt.

Interview

NEUIGKEITEN AUS LAPPLAND feierte beim Internationalen Filmfest Emden-Norderney seine Deutschlandpremiere vor einem begeisterten Publikum. Dort stand mir im Anschluss die Regisseurin Miia Tervo Rede und Antwort.

Trailer

Im Rahmen der Berichterstattung
ab12

Originaltitel

Ohjus / The Missile (Finnland / Estland 2024)

Länge

115 Minuten

Genre

Komödie / Drama

Regie

Miia Tervo

Drehbuch

Miia Tervo

Kamera / Director of Photography (DOP)

Meelis Veeremets

Darsteller

Oona Airola, Pyry Kähkönen, Hannu-Pekka Björkman, Tommi Korpela, Emma Kilpimaa, Tommi Eronen, Jarkko Niemi, Sakari Kuosmanen, Ona Kamu, Milka Ahlroth, Oliver Heikkala, Kai Lehtinen, Sanna-Kaisa Palo, Paavo Kinnunen, Turkka Mastomäki, Kari Väänänen

Verleih

Neue Visionen Filmverleih GmbH

Filmwebsite

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