Moleküle der Erinnerung

30.12.2021

Zwischen Februar und April 2020 sitzt der römische Filmemacher Andrea Segre in Venedig fest. Die Lagunenstadt ist die Heimat seines Vaters Ulderico, doch der war, als Andrea noch ganz klein war, nach Padua gezogen. Geblieben sind Super-8-Filme des Vaters und seine Liebe zu dieser ungewöhnlichen Stadt. Andrea war im Februar 2020 mit seiner Kamera nach Venedig gekommen, um filmisch über die Themen Tourismus und Hochwasser zu reflektieren. Doch dann kam Corona – und Andrea Segre blieb in der Stadt seines Vaters hängen. Seine Meditation über die leere Stadt während des Lockdowns ist das Zentrum des bewegenden Dokumentarfilms MOLEKÜLE DER ERINNERUNG.

Während in Bergamo die Menschen wie die Fliegen sterben, sitzt Segre in Venedig fest. Da kommt ihm eine geniale Idee: eine Stadt zu zeigen, die sonst von Touristen überlaufen ist, wie sie eine neue Identität annimmt. Knapp 40 000 Einwohner – und keine Besucher von außen. Andrea Segre freundet sich mit einer Gondoliere und einem Fischer an, die ihm zeigen, was hier plötzlich so anders ist. Die Gondoliere erklärt ihm, wie man das wacklige Boot mit eintrainierten Bewegungen lenkt, der Fischer erzählt ein chinesisches Sprichwort: „Fischen zu lernen, hält für ein ganzes Leben.“

Andrea Segre geht im Watt der Lagune auf Muschelsuche, schlendert über den total verlassenen Markusplatz und zeigt seinen Freunden mittels der alten Filmaufnahmen, wie sein Vater die Stadt geliebt hat. Sogar die Gondoliere ist verblüfft, als sie am Kreuzfahrtterminal vorbeifahren: „So leer war es hier noch nie.“ Andrea freundet sich mit seinem Onkel, bei dem er auf der Venedig-Insel Giudecca wohnen darf, und seiner kleinen Cousine an und verbringt viel Zeit mit ihnen. Man spürt bei all den Episoden, dass er über den frühen Herztod seines Vaters immer noch nicht hinweg ist.

Schade, dass sich Andrea Segre nicht auf das leere Venedig konzentriert hat. Die Verzahnung mit den Super-8-Aufnahmen seines Vaters wirken etwas aufgesetzt und eine Spur zu pathetisch. Trotzdem: MOLEKÜLE DER ERINNERUNG ist ein trauriges Dokument über eine Zeit, die leider immer noch nicht vorbei ist. Eine melancholische Reise!

Trailer

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Originaltitel

Molecole (Italien 2020)

Länge

71 Minuten

Genre

Dokumentation

Regie

Andrea Segre

Drehbuch

Andrea Segre

Verleih

Film Kino Text – Jürgen Lütz eK

Weitere Neustarts am 30.12.2021