Der Film der Woche

Lamb

06.01.2022

In seinem Regiedebüt LAMB entführt uns Regisseur Valdimar Jóhannsson auf eine abgelegene Schaffarm im Norden Islands – und in die isländische Mythologie. 

Maria (Noomi Rapace) und Ingvar (Hilmir Snær Guðnason) führen ein einfaches, naturverbundenes Leben: Sie züchten Schafe auf einer einsamen Farm in der traumhaft schönen Landschaft Islands. Eines Nachts passiert etwas Seltsames in ihrem Stall – eines ihrer Schafe gebärt ein mysteriöses Wesen, das die beiden fortan wie ihr eigenes Kind aufziehen und dem sie den Namen Ada geben. Beide können ihr Familienglück kaum fassen, doch schon bald wird das alles auf die Probe gestellt. Mutter Natur steckt halt voller Überraschungen…

Gleich zu Beginn führt uns Jóhannsson die schroffe Natur Islands vor Augen – zumindest einigermaßen, denn die ganze Landschaft ist in tiefsten Nebel gehüllt. Doch irgendetwas ist da, was selbst die freilebenden Pferde erschrecken lässt. Der Film lässt uns lange im Dunkeln, was wirklich passiert. Als stille Beobachter folgen wir fortan dem kargen Leben der beiden Protagonisten, beobachten sie dabei, wie sie die Ställe ausmisten und Lämmer zur Welt bringen. Ohne musikalische Untermalung und beinahe ohne Dialoge geht von beiden eine gewisse Faszination aus, die sich aber nur ganz langsam entfaltet. Trotzdem starren wir als Zuschauer gebannt auf die Leinwand und versuchen, in allen Ecken einen Hinweis zu finden, wo uns der Film eigentlich hinführen will. Dass es dabei nicht ein einziges Mal langweilig wird, ist die eigentliche Überraschung des Films.

Man erkennt deutlich, dass Jóhannsson vorher im Special Effects Bereich tätig war. So hat er beispielweise mit Noomi Rapace bereits bei Ridley Scotts „Prometheus“ zusammengearbeitet. Dort war er u.a. für den Nebel verantwortlich – eine Fähigkeit, die ihm für LAMB offensichtlich gut geholfen hat.

Jóhannsson lässt uns lange im Unklaren, wen die beiden Hauptfiguren da eigentlich in ihre Familie aufgenommen haben, Erst sehr spät gibt er nach und nach immer mehr von Ada preis. Dass diese dann so unfassbar realistisch aussieht, ist natürlich in erster Linie seiner Vergangenheit zu verdanken. Gearbeitet hat man hier mit einer Vielzahl von Tricks – von beweglichen Puppen über zehn Kinderdarsteller und vier Lämmer bis hin zu CGI-Effekten war so gut wie alles dabei.

Ein besonderes Augenmerk legte Jóhannsson auf die Farm. Seine präzisen Vorstellungen hatte der Regisseur bereits in einem Ton-Modell verewigt, von dem er Fotos an diverse Farmer schickte. Obwohl er immens viel Feedback bekam, war die „perfekte Farm“ aber lange Zeit nicht dabei. Irgendwann hatte dann sein Bruder die jetzige Farm entdeckt. Sie entsprach zwar überhaupt nicht seinen Vorstellungen, dafür war die Natur um sie herum jedoch so perfekt, dass man aus jedem Blickwinkel filmen konnte, ohne dass man später irgendetwas digital hätte entfernen müssen. Allerdings war die Farm bereits seit mehr als 20 Jahren nicht mehr bewohnt, so dass man das Areal erst einmal aufwendig herrichten musste, damit es einigermaßen so aussieht, als würde dort jemand wohnen.

Eine weitere Besonderheit ist, dass der Film im Sommer gedreht wurde, wenn es in Island nur für zwei Stunden am Tag dunkel wird. So gibt es im gesamten Film keine einzige Szene in Dunkelheit. Für Jóhannsson hat die ständige Helligkeit etwas Furchterregendes. „Man sieht alles und vor allem sieht dich jeder“, so Jóhannson im Interview.

Von vorn herein war Jóhannsson klar, dass der Film möglichst wenig Dialoge haben soll. „Die Geschichte, die ich erzähle, ist in erster Linie eine visuelle“, so der Regisseur, „und wenn man etwas nicht durch Dialoge erklären muss, dann sollte man auch auf sie verzichten.“ Lustigerweise hatten die Macher sogar kurzzeitig den Eindruck, man hätte bereits zu viel Dialog im Film. Das Gegenteil ist jedoch der Fall und so bilde ich mir ein, dass man die Handlung selbst ohne Untertitel verstehen würde.

Der US-Verleih A24 hat den Film als „Horror-Film“ bezeichnet, was Jóhannsson überhaupt nicht gefällt. „Ich glaube, wenn jemand einen Horror-Film erwartet, dann wird er im Endeffekt enttäuscht sein“, so der Filmemacher. Es gibt sicherlich ein paar Elemente, die dem Horror-Genre entliehen sind, aber diese geben nicht den Ton des Films an. Bei LAMB handelt es sich vielmehr um ein Drama, das in der isländischen Mythologie angesiedelt ist. Nicht mehr und nicht weniger.

LAMB ist – gerade für ein Erstlingswerk – ein wahre Offenbarung. Wie Valdimar Jóhannsson das Zusammenpuzzlen des Inhalts seinen Zuschauern überlässt und dem Publikum vertraut, ist bemerkenswert. Um so schöner, dass eine solche Perle mit Koch Films einen Verleih gefunden hat, der das Meisterwerk in die hiesigen Kinos bringt.

Interview

Im Rahmen der Nordischen Filmtage 2021 stand mir der isländische Regisseur Valdimar Jóhannsson Rede und Antwort. Wir sprachen dabei über die Entstehung des Films, die Suche nach der perfekten Farm und vieles mehr. Das Interview erscheint an dieser Stelle zum deutschen Kinostart.

Trailer

Im Rahmen der Berichterstattung
ab16

Originaltitel

Lamb (Island / Schweden / Polen 2021)

Länge

90 Minuten

Genre

Drama / Fantasy

Regie

Valdimar Jóhannsson

Drehbuch

Valdimar Jóhannsson, Sjón

Darsteller

Noomi Rapace, Hilmir Snær Guðnason, Björn Hlynur Haraldsson, Ingvar E. Sigurðsson

Verleih

Koch Films GmbH

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