Wanda, mein Wunder

06.01.2022

Bizarr, skurril, urkomisch – so schön kann Kino sein! Die Schweizer Regisseurin Bettina Oberli („Die Herbstzeitlosen“) hat mit WANDA, MEIN WUNDER eine der mitreißendsten Tragikomödien der vergangenen Jahre gedreht. In einem unaufdringlichen, völlig undogmatischen Stil analysiert sie den Culture-Clash zwischen dem armen Polen und der reichen Schweiz.

Die junge Polin Wanda (Agnieszka Grochowska), alleinerziehende Mutter zweier Söhne, reist mehrmals im Jahr mit dem Fernbus aus ihrer Heimat zu einer wohlhabenden Unternehmer-Familie, die in einer feudalen Villa am Zürichsee residiert. Sie kümmert sich gegen gutes Geld liebevoll um den Firmenchef Josef (André Jung), der nach einem Schlaganfall im Bett liegt und auf ständige Pflege angewiesen ist. Josefs Frau Elsa (Marthe Keller) möchte am liebsten, dass Wanda das ganze Jahr in der Schweiz bleibt – doch Wanda muss sich schließlich zwischendurch auch um ihre Söhne kümmern. Josefs sensibler Sohn Gregor (Jacob Matschenz) soll die Firma übernehmen, doch er zeigt wenig Interesse. Die trotzige Tochter Sophie (Birgit Minichmayr) und ihr Mann Manfred (Anatole Taubmann) lassen sich nur selten in der Villa blicken.

Josef steckt Wanda heimlich Geld zu, damit sie ihn mit der Hand befriedigt – gegen ein stattliches Aufgeld besteigt sie ihn sogar. Mit dem Erfolg, dass sie schwanger wird. Bei ihrem nächsten Aufenthalt am Zürichsee verkündet sie die freudige Botschaft – natürlich hängt sofort der Haussegen schief. Elsa und Sophie sind restlos bedient, nur Josef gerät schier aus dem Häuschen: „Ich werde noch mal Vater!“ Zum Dank schenkt er Wanda und ihren Eltern eine Kuh, die prompt nach Polen geliefert wird.

Mit unglaublichem Gespür für optische Gags, Wortwitz und perfektes Timing gelingt Bettina Oberli das Psychogramm einer Familie, die langsam zerfällt. Wer denkt da nicht an die Ironie von Thomas Mann, der schließlich jahrelang am Zürichsee gelebt hat? Doch Bettina Oberli ist witziger. Scheinbar mühelos schafft sie die schwierige Balance zwischen Tragödie und Komödie. Sogar die Seebestattung kurz vor Schluss gerät – ohne zu viel zu verraten – zu einem absurden Happening. Als Gregor ein Auge auf Wanda wirft und Sophie nur noch ausrastet, müssen wir uns ernsthaft Sorgen machen. Doch plötzlich steht Wandas Familie vor der Tür – samt Kuh! Das ist wohl eine der komischsten Szenen der jüngsten Zeit. Wer hier keine Lachtränen weint, ist selbst schuld. Die Eltern wollten unbedingt dabei sein, wenn das Baby kommt.

Bei der Besetzung hatte die Regisseurin eine glückliche Hand. Der Luxemburger André Jung spielt Josef als trotz seines Handicaps lebensbejahenden Mann, Marthe Keller ist nach Jahren in Hollywood wieder zu einer festen Größe im europäischen Kino geworden – man spürt ihnen Kampf gegen den Zerfall der Familie. Birgit Minichmayr liebt widerspenstige Rolle wie diese – deshalb mögen wir sie. Doch die eigentliche Sensation ist Agnieszka Grochowska, die alle Facetten ihrer schwierigen Rolle zweisprachig (!) kongenial ausspielt. Eine Offenbarung!

Trailer

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Originaltitel

Wanda, mein Wunder (Schweiz 2020)

Länge

112 Minuten

Genre

Drama

Regie

Bettina Oberli

Drehbuch

Cooky Ziesche, Bettina Oberli

Darsteller

Agnieszka Grochowska, Marthe Keller, André Jung, Birgit Minichmayr, Jacob Matschenz, Anatole Taubman, Cezary Pazura, Aagata Rzeszewsk

Verleih

X Verleih AG

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