Garagenvolk

Autor: Jan-Barra Hentschel

Mit elf Jahren im Hamburger „Savoy“ bei „Ben Hur“ die Liebe zum Kino entdeckt. Dann kam mit „Blow Up“ und „Belle de Jour“ der „Arthouse-Film“ dazu. Seit 1989 ständiger Filmjournalist für diverse Medien. Jetzt fühlt er sich hier bestens aufgehoben.

Für ihren ersten langen Dokumentarfilm hat Regisseurin Natalija Yefimkina, 1983 als Kind russisch-ukrainischer Eltern in Kiew geboren und 1995 mit ihrer Familie nach Deutschland ausgewandert, ein merkwürdiges Phänomen näher unter die Lupe genommen. In GARAGENVOLK verbringen die Menschen ihre Zeit tagsüber nicht in ihren angestammten Wohnungen sondern in liebevoll eingerichteten Garagen, die zweckentfremdet wurden: Es fehlen die Autos. 

Das Ganze spielt im russischen Murmansk – hoch im Norden nahe der Grenze zu Norwegen. Mit ihren rund 300 000 Einwohnern ist die Stadt die grösste in der Arktis. Wegen der Nähe zum Golfstrom ist der Hafen auch im Winter eisfrei und Stützpunkt der russischen Nordflotte. Natalija Yefimkina beobachtet mit präzisem Blick mehrere skurrile Gestalten, wie sie dem unwirtlichen Klima trotzen. Vor allem Männer ziehen sich hier ins Privatleben zurück und verweigern sich den Reglementierungen der russischen Gegenwart. So entstehen Parallelwelten am Rande der Gesellschaft.

Da ist Schrotthändler Ilja, der seine Garage mit Gerümpel vollstopft. Roman züchtet Wachteln, Pavel schnitzt Heiligenfiguren, und Viktor hat in jahrzehntelanger Arbeit seine Garage um vier unterirdische Stockwerke ergänzt. Warum, bleibt sein Geheimnis. Der eine brennt heimlich Schnaps, ein anderer betreibt einen illegalen Fischladen. Eine grottenschlechte Band probt verzweifelt eine Mischung aus Punk und Heavy Metal – doch der Erfolg will sich nicht einstellen.

Ein Bergbaukonzern ist der einzige noch existierende größere Arbeitgeber in Murmansk. Doch auch seine Tage sind gezählt. So bleibt den Menschen nur, in einer winzigen Wohnung der hässlichen Plattenbausiedlungen zu vermodern – oder der Rückzug in die Idylle der Garage, um in dieser Gegenwelt dem trostlosen post-sowjetischen Alltag ein Bein zu stellen. Für GARAGENVOLK hat Natalija Yefimkina schon etliche Preise eingeheimst. Hoffen wir auf viele Zuschauer.

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