Der Film der Woche

Ballade von der weißen Kuh

03.02.2022

Einer der erschütterndsten Filme des vergangenen Jahres war „Doch das Böse gibt es nicht“, der Berlinale-Sieger von 2020. In vier kaum zu ertragenden Episoden zeigte der iranische Regisseur Mohammad Rasoulof, wie die Todesstrafe ein Land verrohen kann. Neben der Volksrepublik China werden im Iran weltweit jährlich die meisten Todesurteile vollstreckt. BALLADE VON DER WEISSEN KUH von Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha wirkt wie ein aufwühlender Epilog zu jenem Film – eine stimmige und notwendige Ergänzung.

Ein Jahr nach der Hinrichtung muss Mina (Co-Regisseurin Maryam Moghaddam spielt selbst die Hauptrolle) erfahren, dass ihr Mann zu Unrecht verurteilt worden war. Doch das Fehlurteil interessiert im Iran niemanden mehr. Mina muss ihrer kleinen Tochter erzählen, dass der Papa weit weg ist. Halbherzig entschuldigt sich die Behörde und bietet eine jämmerliche materielle Wiedergutmachung an. Mit der Arbeit in einer Milchabfüllanlage sorgt Mina für die kümmerliche Existenz von Mutter und Kind.

Als sie zu Hause (harmlosen) Männerbesuch bekommt, wird sie vom Vermieter gnadenlos aus der Wohnung geschmissen. So sind im Iran die Verhältnisse! Der Besucher war Reza (Alireza Sanifar), angeblich ein Freund ihrer Mannes, der ihr helfen will. Was erst allmählich klar wird – und uns allen einen Schock versetzt: Reza war einer der Richter, der das Todesurteil unterschrieben hatte. Doch jetzt plagt ihn das Gewissen. Er bietet Mina an, gratis in einer seiner Wohnungen zu leben und unterstützt sie, wo er kann. Doch erst nachdem sie in seinem Bett gelandet ist, erfährt sie die schreckliche Wahrheit.

Die beiden Regisseure analysieren mit gnadenloser Härte, was in diesem Land alles schief läuft. Für diesen realistischen, schonungslosen Stil ist das iranische Kino inzwischen weltberühmt – nur nicht im eigenen Land. Was ich mich immer wieder frage: Muss es einem Land wirklich erst so schlecht gehen, um großes Kino zu produzieren? Man merkt: Ich bin ein Fan der Filme aus dem Iran!

Maryam Moghaddam fühlt sich offensichtlich wohl in der Doppelbelastung als Hauptdarstellerin und Co-Regisseurin. In ihrer schwierigen Rolle meistert sie alle Nuancen zwischen Verzweiflung, Muttergefühle, Lebensenergie und – letztendlich – grenzenloser Enttäuschung. DIE BALLADE VON DER WEISSEN KUH vereint alles, was denkwürdiges „Arthouse“-Kino ausmacht. Noch ein Wort zum Titel: Symbolisch wird der Film eingerahmt von einer weißen Kuh, die wie verloren in einem Gefängnishof steht. Offenbar eine Parabel aus dem Koran, die für uns Westeuropäer schwierig zu deuten ist. Die Schrifteinblendung lässt (leider) vieles unklar. Trotzdem: ein wichtiger, sehr lohnender Film!

Trailer

ab6

Originaltitel

Ghasideyeh gave sefid (Iran / Frankreich 2020)

Länge

105 Minuten

Genre

Drama

Regie

Maryam Moghaddam, Behtash Sanaeeha

Drehbuch

Mehrdad Kouroshniya, Maryam Moghaddam, Behtash Sanaeeha

Darsteller

Maryam Moghaddam, Alireza Sanifar, Pourya Rahimisam, Avin Purraoufi, Farid Ghobadi

Verleih

Weltkino Filmverleih GmbH

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