Der Film der Woche

Toni Erdmann

14.07.2016

Winfried (Peter Simonischek), 65, ist ein Musiklehrer mit ausgeprägtem Hang zum Scherzen, der mit seinem alten Hund zusammenlebt. Seine Tochter Ines (Sandra Hüller) ist eine Karrierefrau, die um die Welt reist, um Firmen zu optimieren. Vater und Tochter könnten also nicht unterschiedlicher sein: Er, der gefühlvolle, sozialromantische Alt-68er, sie, die rationale Unternehmensberaterin, die bei einem großen Outsourcing-Projekt in Rumänien versucht aufzusteigen, und sich in einer Männerdomäne zu behaupten. 

Da Winfried zu Hause also nicht viel von seiner Tochter sieht, beschließt er, sie nach dem Tod seines Hundes spontan zu besuchen. Statt sich anzukündigen, überrascht er sie mit Scherzgebiss und Sonnenbrille in der Lobby ihrer Firma. Ines bemüht sich, gute Miene zum bösen Spiel zu machen und schleppt ihren Vater in seinen alten Jeans mit zu Businessempfängen und Massageterminen. Doch der Besuch führt nicht zu einer Annäherung. Winfried nervt seine Tochter mit lauen Witzen und unterschwelliger Kritik an ihrem leistungsorientierten Leben zwischen Meetings, Hotelbars und unzähligen E-Mails. Vater und Tochter stecken in einer Sackgasse, und es kommt zum Eklat zwischen den beiden.

Doch statt, wie angekündigt, Bukarest zu verlassen, überrascht Winfried Ines mit einer radikalen Verwandlung in Toni Erdmann, sein schillerndes Alter Ego. Mit schiefem Gebiss, schlechtem Anzug und Perücke ist Toni wilder und mutiger als Winfried und nimmt kein Blatt vor den Mund. Toni mischt sich in Ines‘ Berufsleben mit der Behauptung ein, der Coach ihres Chefs zu sein, und startet einen Amoklauf aus Scherzen. Überraschend lässt Ines sich auf sein Angebot ein, und Vater und Tochter machen eine verblüffende Entdeckung: Je härter sie aneinander geraten, desto näher kommen sie sich.

Kritik

Ganz plötzlich kommt bei den Filmfestspielen in Cannes nach langer Durststrecke mit TONI ERDMANN mal wieder ein Film um die Ecke, der alle umhaut und begeistert.

Dass TONI ERDMANN in Cannes nicht die begehrte Palme mit nach Hause nehmen durfte, ist eigentlich ein Unding, schließlich erhielt der Film im Jury-Grid des Hollywood Reporters die höchste Bewertung seit vielen Jahren. Doch warum begeistert der Film alle?

Nun, da wäre in erster Linie die Direktheit, mit der Regisseurin Maren Ade ihre Figuren agieren lässt. Gerade Peter Simonischek als TONI ERDMANN nimmt hier absolut kein Blatt vor den Mund. Während man ihn zu Beginn noch als albernen Mann wahrnimmt, der es schlichtweg versäumt hat, erwachsen zu werden, stellt er nur wenig später eine ganze Branche bloß.

Eine Branche, in der Menschlichkeit nicht mehr zählt, sondern immer nur der nächste Abschluss, die nächste Karrierestufe. Als Winfried merkt, dass er seine Tochter nicht mehr erreicht, entsteht sein Alter Ego TONI ERDMANN aus purer Verzweiflung. Doch genau auf diese Art und Weise gelingt es ihm, eine Sprache zu sprechen, die auch seine Tochter Ines versteht.

Was nach einer einfachen Komödie klingt, ist ein äußerst vielschichtiges Experiment, das auf diversen Ebenen hervorragend funktioniert. Durch die für eine Komödie unübliche Länge von über 2,5 Stunden gelingt es Maren Ade, ein wahres Meisterwerk vorzulegen, dass keine einzige Minute zu lang ist.

So weht mit TONI ERDMANN ein frischer Wind durch die deutsche Filmlandschaft, der vielleicht die Kraft hat, sich zu einem Orkan zu entwickeln. Wie auch immer, verpassen sollte man dieses grandiose Meisterwerk unter gar keinen Umständen!

Trailer

ab12

Originaltitel

Toni Erdmann (Deutschland / Österreich / Rumänien 2016)

Länge

162 Minuten

Genre

Komödie / Drama

Regie

Maren Ade

Drehbuch

Maren Ade

Darsteller

Peter Simonischek, Sandra Hüller, Michael Wittenborn, Thomas Loibl, Trystan Pütter, Hadewych Minis, Lucy Russell, Ingrid Bisu

Verleih

NFP Marketing & Distribution GmbH

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