Der Film der Woche

Licorice Pizza

27.01.2022

Es gibt wohl niemanden, der nach den 134 Minuten von LICORICE PIZZA von Paul Thomas Anderson der oder die Gleiche ist wie vorher. Dieses Kinoerlebnis wird uns in diesem Jahr umhauen – diese Lust an grenzenloser Anarchie ist heutzutage fast verloren gegangen. Mein erster Eindruck: Hier hat jemand seine Schauspieler genötigt, ständig unter Drogen zu spielen. Das ist natürlich nicht wahr, aber das Ergebnis wirkt ähnlich. LICORICE PIZZA kann man als Fortsetzung von „Inherent Vice – Natürliche Mängel“ (2014) begreifen, der kongenialen Verfilmung des gleichnamigen Hippie-Romans von Kultautor Thomas Pynchon. Auch damals standen die Akteure komplett neben sich. Was für ein Spaß! Seit seinem Jahrhundert-Meisterwerk „Magnolia“ (1999) überrascht uns Paul Thomas Anderson immer wieder – so auch hier! Er lotet noch einmal die Kino-Ästhetik bis an die Grenzen aus.

Sorry, diese Ouvertüre musste sein, um die Genialität von LICORICE PIZZA zu begreifen. Noch ein Wort zum bizarren Titel: „Licorice Pizza“, auf Deutsch „Lakritz-Pizza“, war in den 1970er-Jahren der Name eines kalifornischen Plattenladens und bedeutete nichts anderes als ein Synonym für „Vinyl-Schallplatte“ (Schwarze Scheibe!).

Auf den ersten Blick ist LICORICE PIZZA (nur) eine Coming-of-Age-Geschichte des Jahres 1973 im San Fernando Valley. Als der picklige und dickliche Teenager Gary Valentine (Cooper Hoffman) beim üblichen Foto-Shooting für das Klassen-Album die zehn Jahre ältere Kamera-Assistentin Alana Kane (Alana Haim) kennenlernt, überredet er sie spontan zu einem Date. Sie ist zunächst pikiert: Was will dieser hässliche Knirps von mir? Aber da Gary seit Jahren ein erfolgreicher TV-Kinderstar ist, kann er sich die Einladung erlauben. Und sie willigt überraschenderweise ein. Dass er im Restaurant wegen seines Alters nur eine Coke bestellen darf, ist verzeihlich. Wie sich diese unmögliche Beziehung im Laufe der kommenden zwei Stunden entwickelt, bildet das Herzstück des Films. Kann das gut gehen?

Gary ist voller Ideen: Er will Kalifornien eine neue technische Errungenschaft verkaufen: das Wasserbett. Einer seiner Kunden ist Jon Peters, damals der Ehemann von Barbra Streisand. Wie Bradley Cooper diese durchgeknallte Figur spielt, ist Oscar-würdig! Als Alana und Gary nach dem Einbau mit ihrem Lkw zurückfahren, geht das Benzin aus – wir befinden uns mitten in der Ölkrise. Und Alana kurvt am Steuer rückwärts (!) die Straßen von San Fernando hinunter. Der Stunt der Jahres! (Alana Haim saß übrigens selbst am Steuer!). Noch eine grandiose Nebenfigur: Sean Penn spielt einen abgehalfterten Hollywood-Star, der an William Holden angelehnt ist. Und Tom Waits ist sein schräger Kumpel.

Es hat keinen Sinn, alle der vielen Gags des Films zu verraten. Die muss jeder für sich entdecken. LICORICE PIZZA ist ein Film, der einen zweiten (und dritten) Kinobesuch lohnt. Hier fordert ein genialer Regisseur unsere Fantasie heraus. Paul Thomas Andersons visueller Stil ist wieder mal atemberaubend: In seinen Farben und Bewegungen hat er den Zeitgeist der 1970er-Jahre optimal eingefangen.

Noch ein Wort zur überraschenden Besetzung: In fünf (!) Filmen von Paul Thomas Anderson spielte Philip Seymour Hoffman eine tragende Rolle. Nach seinem tragischen Drogentod (2014) hat jetzt sein Sohn Cooper Hoffman in dessen Film-Debüt (!) die Hauptrolle übernommen. An seiner Seite die Sängerin Alana Haim, eine der drei Schwestern der Pop-Rock-Band „Haim“. Anderson hat uns überzeugt: Schönheit ist auch in Hollywood nicht alles! Alana Haim ist das eher unscheinbare „American Girl“ und Cooper Hoffman der unauffällige Junge von nebenan. Doch Aura und Charisma schaffen alles! Wir sind überwältigt!

Trailer

ab12

Originaltitel

Licorice Pizza (USA 2021)

Länge

134 Minuten

Genre

Drama

Regie

Paul Thomas Anderson

Drehbuch

Paul Thomas Anderson

Darsteller

Alana Haim, Cooper Hoffman, Sean Penn, Bradley Cooper, Benny Safdie

Verleih

Universal Pictures International Germany GmbH

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