Der Film der Woche

In Liebe, Eure Hilde

17.10.2024

Für mich zählt Andreas Dresen zu den besten Regisseuren unseres Landes. In bewährter Zusammenarbeit mit der Drehbuchautorin Laila Stieler setzt er sich mit IN LIEBE, EURE HILDE nun dem schweren Thema Nationalsozialismus und Holocaust auseinander – und findet dafür genau die richtigen Bilder und Worte.

Eigentlich sind Hilde (Liv Lisa Fries) und Hans (Johannes Hegemann) Coppi zwei ganz normale, junge Menschen. Beide sind ineinander verliebt, und Hilde bewundert, wie mutig sich Hans im Widerstand engagiert. Obwohl sie ängstlich ist, beteiligt sie sich mehr und mehr an den Aktionen der Gruppe, die man später als die „Rote Kapelle“ bezeichnen wird. Doch so schön dieser Sommer 1942 auch ist, er wird tragisch enden. Alle werden verhaftet, und die im achten Monat schwangere Hilde muss ihren Sohn im Gefängnis zur Welt bringen. Dort wächst die junge Frau über sich hinaus…

Mit dem Themengebiet Nationalsozialismus und Holocaust beschäftigt sich das Medium Film schon seit vielen Jahrzehnten – mal mehr und mal weniger intensiv. Und auch wenn von Zeit zu Zeit die Stimmen lauter werden, man möge diese Zeit endlich einmal hinter sich lassen, gibt es zum Glück immer wieder Filmemacher, die das anders sehen. Und es gibt Andreas Dresen und Laila Stieler, denen es gelingt, daraus ein überraschend zurückgenommenes Werk zu schaffen, das trotzdem nachwirkt.

Auch über die „Rote Kapelle“ gab es bereits zahlreiche Filme, zuletzt eine Dokumentation von Carl-Ludwig Rettinger. Dresen konzentriert sich in IN LIEBE, EURE HILDE gänzlich auf die beiden Widerstandskämpfer Hilde und Hans Coppi, die am 20. Januar 1943 vom Reichsgericht als Amateurfunker wegen Spionage zum Tode verurteilt und am 5. August 1943 in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurden. Doch er erzählt ihre Geschichte nicht chronologisch, sondern wendet einen Kniff an, der die Wirkung noch einmal verstärkt. Während er den Weg von Hildes Gefangennahme bis zur Hinrichtung linear zeigt, bewegen sich die Rückblenden genau entgegengesetzt. So ist zu Beginn die Bedrohung durch die Gestapo spürbar, während die Erinnerungen zum Ende des Films immer leichter werden – bis hin zum zaghaften Kennenlernen. Dadurch zieht sich durch den ganzen Film eine Art Gleichgewicht, so das das schwierige Thema einigermaßen ertragbar wird.

In der Rolle der Hilde Coppi liefert Liv Lisa Fries eine der besten Darstellungen ihres Lebens. Wie sie sich ihrer Figur mit unfassbar viel Einfühlungsvermögen nähert, ist schlichtweg beeindruckend. Obwohl ihre Figur recht still ist, gelingt es Fries, ihr allein durch Mimik und Körpersprache eine Tiefe zu geben, die man im Kino nur selten sieht. Aber auch Johannes Hegemann kann in seiner ersten Kinorolle beeindrucken. Kein Wunder, schließlich gehört er nach seinem Schauspielstudium bereits seit der Spielzeit 2020/2021 zum Ensemble des Thalia Theater in Hamburg.

IN LIEBE, EURE HILDE funktioniert aber auch deshalb so gut, weil Dresen und Stieler komplett auf Klischees verzichten. Es gibt keine grölenden Nazis, keine schockierenden Bilder aus Konzentrationslagern, aber auch keine als überhöhte Helden dargestellte Widerstandskämpfer. Der Film zeigt einfach nur zwei Menschen, die sich entscheiden, das Richtige zu tun. Und so wird IN LIEBE, EURE HILDE gleichzeitig auch eine Klageschrift an unsere heutige Gesellschaft: Wir brauchen viel mehr dieser Leute, die das Richtige tun und an die Menschlichkeit appellieren. Denn niemals zuvor waren wir den schrecklichen Zeiten des Nationalsozialismus näher, als in der heutigen Zeit. Auch wenn unsere Generation nicht für die Gräueltaten verantwortlich ist, so ist es unsere Aufgabe, ja sogar unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass so etwas niemals wieder geschieht. Danke für diese eindrucksvolle Erinnerung daran, liebe Laila Stieler und lieber Andreas Dresen.

Trailer

Im Rahmen der Berichterstattung
ab12

Originaltitel

In Liebe, Eure Hilde (Deutschland 2024)

Länge

125 Minuten

Genre

Drama

Regie

Andreas Dresen

Drehbuch

Laila Stieler

Darsteller

Liv Lisa Fries, Johannes Hegemann, Lisa Wagner, Alexander Scheer, Emma Bading, Sina Martens, Lisa Hrdina, Lena Urzendowsky, Nico Ehrenteit, Fritzi Haberlandt

Verleih

Pandora Film GmbH & Co. Verleih KG

Filmwebsite

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