Was für einen Unterschied eine Ohrfeige machen kann! Die 13-jährige Marielle (Laeni Geiseler) bekommt von ihrer besten Freundin eine verpasst – und kann fortan in WAS MARIELLE WEISS alles sehen und hören, was ihre Eltern machen. Frédéric Hambaleks zweite Regiearbeit nach „Modell Olimpia“ (2020) feierte seine Premiere auf der diesjährigen Berlinale im Wettbewerb und erntete überwiegend positive Kritiken.
Die gutbürgerliche Fassade beginnt in WAS MARIELLE WEISS schnell zu bröckeln als Marielle beim Abendbrot auf einmal alles besser weiß als Vater Tobias (Felix Kramer) und Mutter Julia (Julia Jentsch). Denn sie hat nun telepathische Fähigkeiten, was die Eltern natürlich zunächst bezweifeln und ihr ein Tabletverbot auferlegen.
Als auch ein Arztbesuch ohne Befund bleibt, ist klar: WAS MARIELLE WEISS, das hat Hand und Fuß. Ihre Eltern sind aber nicht aufrichtig zueinander: Julia raucht nicht nur in ihrer Arbeitspause, sondern genießt auch den expliziten Sextalk mit ihrem Kollegen. Und Tobias‘ Lügengebäude fällt ebenso schnell zusammen. Im Job ist er längst nicht so tough, wie er am Küchentisch erzählt.
Hambalek verzichtet bei der Inszenierung von WAS MARIELLE WEISS komplett auf übersinnliche Momente und liefert fast dokumentarische Bilder. Die Kamera ist meist nah dran, alles wirkt authentisch. Die Familie muss nun zunächst lernen, sich mit der ungewohnten Situation zu arrangieren. Vater Tobias instrumentalisiert seine Tochter, um zu erfahren, was Mutter Julia gerade macht. Hier kommt Ironie und Situationskomik ins Spiel. Auch, wenn die Eltern sich plötzlich auf französisch unterhalten.
WAS MARIELLE WEISS wurde als „Das kleine Fernsehspiel“ fürs ZDF produziert. Und die nüchterne, aber dennoch unterhaltsame Versuchsanordnung passt perfekt zum Namen der Reihe. Phrasen wie etwa „Wenn man sich liebt, vertraut man sich“ werden hier schonungslos bloß gestellt. Die Bedrohung der Privatsphäre kommt hier mal nicht aus dem Computer oder Smartphone, sondern geht von der eigenen Tochter aus. Sie muss mit ihrem Wissen leben, auch das kann eine Belastung sein. Ein Coming of Age der besonderen Art. Also wie um Himmels Willen lassen sich die telepathischen Fähigkeiten wieder rückgängig machen?
In der Familie muss auf einmal offen miteinander gesprochen werden. Das hat dann was von einer Katharsis, das wirkt therapeutisch. Ist es aber wirklich wünschenswert, dass wir alles voneinander wissen? Hambalek zwingt die Zuschauenden in WAS MARIELLE WEISS zum Reflektieren. Die Nachwuchsdarstellerin Laeni Geiseler ist dabei wirklich eine Entdeckung. In Zwischensequenzen sehen wir ihr wissendes Gesicht, musikalisch untermalt durch Klänge von Beethoven, Brahms und Schubert. Das bleibt im Gedächtnis! Auch Julia Jentsch („Sophie Scholl“, „24 Wochen“) und Felix Kramer („Irgendwann werden wir uns alles erzählen“, „Zwischen Welten“) spielen gewohnt stark.
Was Marielle weiß (Deutschland 2025)
88 Minuten
Drama / Komödie
Frédéric Hambalek
Frédéric Hambalek
Alexander Griesser
Julia Jentsch, Felix Kramer, Laeni Geiseler, Mehmet Atesçi, Moritz Treuenfels, Sissy Höfferer, Victoria Mayer, Nadja Sabersky, Marion Mitterhammer
DCM Film Distribution GmbH