Um einen uralten Witz zu paraphrasieren: Zehn Millionen Franzosen können nicht irren…
Der hemmungslos durchgeknallte Film WAS IST SCHON NORMAL? ist in unserem westlichen Nachbarland bereits jetzt die erfolgreichste Blockbuster-Komödie des Jahres. Der Schauspieler und Comedian Artus schrieb nach einer eigenen Idee zusammen mit Clément Marchand und Milan Mauger das Drehbuch, führte erstmalig Regie und übernahm auch die Hauptrolle. Für seine ungewöhnliche Geschichte über Freundschaft und Toleranz beim Zusammenleben von geistig Behinderten und „Normalen“ vereinte er professionelle Schauspieler mit „Handicap“-Laiendarstellern. Dieses sichtliche Bemühen um Authentizität schien ein Wagnis zu sein – doch die Franzosen stürmten millionenfach in die Kinos. Ist dieser Erfolg gerechtfertigt? Lässt sich das in Deutschland wiederholen? Ich habe so meine Zweifel.
Nach einem erfolgreichen Raubüberfall auf ein Juweliergeschäft müssen Paulo (Artus) und sein Vater (Clovis Cornillac) feststellen, dass ihr Fluchtauto inzwischen abgeschleppt wurde – es stand auf einem Behinderten-Parkplatz (!). Kurzerhand schmuggeln sie sich in einen bereit stehenden Reisebus, mit dem elf geistig Behinderte in ihr Ferienheim transportiert werden sollen. Die Ganoven geben vor, der bislang fehlende Mitreisende Sylvain und sein Betreuer Orpi zu sein. Gleich nach der Abfahrt werden die beiden von den elf erwartungsfrohen Urlaubern und ihren drei Betreuern unter der Führung von Alice (Alice Belaïdi) mit großem Hallo begrüßt. Doch für Paulo alias Sylvain stellt sich die Frage: Wie spiele ich einen geistig Behinderten, ohne zu übertreiben?
Schon die Verteilung der Betten und das gemeinsame Duschen erweist sich bei der Ankunft im idyllisch auf einem Hügel gelegenen Heim als problematisch. Sylvain freundet sich mit dem redseligen Dalida-Bewunderer Arnaud an, der unglücklich in Marie verliebt ist und den Möchtegern-Behinderten sofort durchschaut. Aber er gibt ihm Tipps, wie man das „Anderssein“ geschickt vorgibt. „Betreuer“ Orpi, der ständig versucht, trotz schlechten Handy-Empfangs seinen Hehler zu erreichen, muss sich den Avancen des nervigen CR7-Fans Baptiste erwehren. Und Alice traut sich nicht, ihren liebgewonnenen „Heimkindern“ zu verraten, dass sie demnächst mit ihrem Freund nach Amerika auswandern will.
Das Prinzip ist schnell klar: Die skurrilen Marotten der Behinderten werden meist liebevoll gezeichnet. Dagegen bekommen die „Normalen“ ständig ihr Fett weg – allen voran die unfähige Köchin des Landheims, die jedenTag ekligen Einheitsbrei serviert. Doch dieses Prinzip halten Artus und seine Drehbuch-Mitautoren nicht konsequent durch: Viele Szenen – besonders gegen Ende hin – gleiten ins Klamottige ab, da ist manches leider nur noch peinlich. Schade!
Artus hatte seine Kunstfigur Sylvain bereits erfolgreich auf der Theaterbühne und in den sozialen Netzwerken erprobt – jetzt ist sie auf der großen Leinwand gelandet. Und die Franzosen lieben ihn dafür…
Filme über das „Anderssein“ sind im französischen Kino seit Jahren unglaublich populär – wer denkt da nicht an die Hits „Willkommen bei den Sch’tis“ oder „Ziemlich beste Freunde“? Und eines muss man WAS IST SCHON NORMAL? zugute halten: Die geistig Behinderten werden nie ins Lächerliche gezogen, alle elf faszinierend agierenden Laiendarsteller behalten während des gesamten Films ihre Würde.
Aber warum dieser Erfolg? Die spinnen, die Franzosen!
Un P'tit truc en plus (Frankreich 2024)
100 Minuten
Komödie
Artus
Artus, Clément Marchand, Milan Mauger
Artus, Clovis Cornillac, Alice Belaïdi, Marc Riso, Céline Groussard, Gad Abecassis, Ludovic Boul, Stanislas Carmont, Marie Colin, Thibault Conan, Mayane Sarah El Baze, Theophile Leroy, Boris Pitoëff, Sofian Ribes, Arnaud Toupense, Benjamin Vandewalle
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