Ein Mädchen, das wie durch ein Wunder einen Flugzeugabsturz im Amazonasgebiet überlebt hat, eine Mission mitten im Regenwald Brasiliens und ein erbitterter Kampf der indigenen Bevölkerung gegen illegale Holzfäller: Kinofans, die sich ein bisschen in der Filmgeschichte auskennen, könnten vermuten, dass Werner Herzog diese Geschichte verfilmt hat. Doch TRANSAMAZONIA stammt von der in Berlin lebenden Südafrikanerin Pia Marais. Die Regisseurin selbst bezeichnet ihr Werk als „zeitgenössischen Western“.
Aber der Bezug zu Herzog ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Die Drehbuchautoren Pia Marais, Willem Droste und Martin Rosefeldt wurden von einem wahren Fall inspiriert. Die Deutsche Juliane Koepcke überlebte 1971 im Alter von 17 Jahren als einzige einen Flugzeugabsturz in Peru und wurde erst nach zehn Tagen von indigenen Bewohnern des Regenwaldes gefunden. Und Ende der 1980er-Jahre drehte ausgerechnet Werner Herzog den Dokumentarfilm „Julianes Sturz in den Dschungel“ über sie.
Ein kleines Mädchen liegt schwerverletzt unter Blätterzweigen mitten im Urwald. Ameisen krabbeln über seine Arme. Erst nach Tagen wird es von Indigenen entdeckt und ins Krankenhaus gebracht. Dort darf Lawrence Byrne (Jeremy Xido) seine gerettete Tochter Rebecca in die Arme schließen. Neun Jahre später lebt Rebecca (Helena Zengel) mit ihrem Vater in der von ihm geleiteten Mission. Bei den Einheimischen vom Stamm der Iruaté gilt sie seit dem Absturz als Wunderheilerin.
Die angrenzenden indigenen Bewohner verehren den Teenager und pilgern in Massen zu den Gottesdiensten, die Vater und Tochter gemeinsam bestreiten. Dabei erleben die Gläubigen, wie Rebecca es schafft, dass eine gelähmte Frau wieder gehen kann. Mit ihren religiösen, folkloristisch angehauchten Songs ziehen Lawrence und Rebecca alle in ihren Bann. Der Missionar setzt sich für ein friedliches Zusammenleben zwischen den Einheimischen und dem Besitzer des örtlichen Sägewerks ein, kann aber eine Eskalation nicht verhindern, als immer mehr geschützte Bäume abgeholzt werden.
Der Sägewerkbesitzer bittet Rebecca, seine im Koma liegende Ehefrau mithilfe ihrer besonderen Fähigkeiten aufzuwecken. Als Gegenleistung verspricht er, die Gewalt gegen die indigene Bevölkerung einzustellen. Dabei lernt Rebecca auch die Pflegerin der Frau, die Krankenschwester Denise (Sabine Timoteo), näher kennen. Diese behauptet, vor neun Jahren im gleichen Krankenhaus wie Rebeccas Mutter gearbeitet zu haben. Kann das Mädchen dieser rätselhaften, in sich gekehrten Frau glauben?
In einem ruhigen, fast dokumentarischen Stil inszeniert Pia Marais dieses vertrackte Drama. Immer wieder zeigt sie uns Bilder der unberührten und der zerstörten Natur: die Schönheit des Regenwaldes, abgeholzte Flächen, die schier endlose Lehmpiste durch den Wald, durch Sabotage demolierte Baumaschinen, blutige Kämpfe. Leider verzettelt sich die Regisseurin bisweilen im Gestrüpp der vielen Handlungsstränge – das kann bei der Länge von 112 Minuten auch ermüdend wirken.
TRANSAMAZONIA lebt von der Leistung Helena Zengels. Die mit „Systemsprenger“ (2019) zu Weltruhm gelangte deutsche Jungschauspielerin ist inzwischen 16 Jahre alt. Wie Rebecca versucht, sich aus den manipulativen Fängen ihres Vaters zu befreien, wie sie an ihrer Rolle als Wunderheilerin zu zweifeln beginnt, wie sie mehr über das Geheimnis ihrer Kindheit erfahren will – das alles ist wunderbar nur in ihrem Gesicht zu lesen. Eine grandiose Performance!
P. S. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Pia Marais beim Drehen in Brasilien und Französisch-Guyana an Werner Herzog gedacht hat.
Transamazonia (Frankreich / Deutschland / Schweiz / Taiwan / Brasilien 2024)
112 Minuten
Drama
Pia Marais
Pia Marais, Willem Drost, Martin Rosefeldt
Mathieu de Montgrand
Helena Zengel, Jeremy Xido, Sabine Timoteo, Hamã Luciano, Rômulo Braga, Philipp Lavra, Sergio Sartorio, Iwinaiwa Assurini, Pirá Assurini, João Victor Xavante, Kamya Assurini
Pandora Film GmbH & Co. Verleih KG