Claudia Rorarius, die sich als Fotografin für die SPEX und andere Popkulturmagazine mit intensiven Porträts von Prominenten bereits einen Namen gemacht hat, zwingt uns mit der Grenzen überschreitenden Amour fou TOUCHED zum genauen Hinschauen – und zeigt dabei Dinge, die es so noch nicht zu sehen gab im Pflegealltag und auch in zwischenmenschlichen Beziehungen. Das ist manchmal wirklich sehr schwer auszuhalten!
Die Idee zu TOUCHED trägt die Drehbuchautorin und Regisseurin bereits lange mit sich herum, da Rorarius in ihrer Jugend miterleben musste, wie ihr Vater zum Behinderten und somit zum Pflegefall wurde. Die Schilderung einer intimen Beziehung zwischen einer körperlich eingeschränkten Person und einer Pflegekraft vermisste sie bisher im Gegenwartskino.
Also begleiten wir die junge Pflegerin Maria in ihrem Arbeitsalltag in einer Reha-Klinik. Sie wird von einer resoluten Schwester eingearbeitet, damit sie sich fortan selbstständig um den querschnittsgelähmten Alex kümmern kann: Der Transport vom Bett in den Rollstuhl und dann unter die Dusche braucht schon einiges an Geduld und Kraft. Es muss die Blase entleert und der Patient mit Essen versorgt werden. Dies wird erstaunlich detailgetreu geschildert in TOUCHED.
Maria ist übergewichtig und wird von der isländischen Body-Positivity-Aktivistin Ísold Halldórudóttir in ihrem Schauspieldebüt wuchtig verkörpert, Alex hingegen ist schmächtig und erlangt durch das Spiel des querschnittsgelähmten griechischen Tänzers Stavros Zaveiris eine gewisse Authentizität. Beide wurden völlig zurecht beim Filmfestival in Locarno 2023 mit dem „Goldenen Leoparden“ für die beste Performance ausgezeichnet.
Die Einzelgängerin Maria singt in der Karaoke-Bar gedankenverloren „Time after Time“ von Cyndi Lauper und tanzt zu Hause. Alex hadert mit seinem Schicksal, da er seiner Leidenschaft als Musiker nicht mehr nachgehen kann. Seine Freundin schickt er weg. Die beiden Charaktere nähern sich zaghaft an: Maria singt Alex in den Schlaf und rettet ihn aus dem Schwimmbad, als dieser sich ertränken will. Und sie genießt in TOUCHED die körperlichen Berührungen über das berufliche Maß hinaus.
Zunehmend ist die eigentlich verbotene Beziehung auch sexuell aufgeladen, trotz der körperlichen Ungleichheit. Ausgelebt wird diese Lust zunächst in der sterilen Klinikumgebung, dann aber auch in den privaten Räumen von Maria und schließlich in der Natur. Die Filmemacherin Rorarius beweist in TOUCHED dokumentarisches Gespür und zeigt auf unbequeme Art und Weise durchdachte Bildkompositionen – auch als die Liaison toxische Züge annimmt und Alex respektlos Marias Körper disst.
Sich TOUCHED auszusetzen, kostet viel Kraft und braucht Ausdauer bei über zwei Stunden Lauflänge. Ein Vergleich zur umstrittenen „Körperwelten“-Ausstellung von Dr. Gunther von Hagens dürfte hier nicht zu weit hergeholt sein. Dessen ist sich Regisseurin Rorarius aber wohl auch bewusst. Es geht ihr um die Inszenierung von Körpern, Gefühlen und Befindlichkeiten. Sensibel, aber auch radikal lotet sie hier Grenzen aus – und nutzt die statischen Einstellungen im 4:3-Format quasi als Brennglas!
Die Musikauswahl überzeugt übrigens mit feinfühligen Titeln von Donna Regina, Nils Frahm, Federico Albanese und Tara Nome Doyle, die von Martin Hossbach sorgsam ausgewählt wurden und den Bogen spannen zur Pop-Affinität der Autorenfilmerin.
Touched (Deutschland 2023)
135 Minuten
Drama
Claudia Rorarius
Claudia Rorarius
Ísold Halldórudóttir, Stavros Zafeiris, Angeliki Papoulia, Yousef Sweid
Cologne Cine Collective