Wie die Coen-Brüder liebt es der US-Regisseur David Lowery, bekannte Genres gegen den Strich zu bürsten. Nach eher zahmem Mainstream-Beginn („Elliot, der Drache“) drehte er mit „A Ghost Story“ den wohl ungewöhnlichsten Geisterfilm der Geschichte. Nach der mit viel Augenzwinkern inszenierten Robert-Redford-Komödie „Ein Gauner und Gentleman“ vertiefte sich Lowery auf Jahre in die Welt der Artus-Sagen. Jetzt kommt „The Green Knight“ ins Kino – und es ist natürlich kein gewöhnlicher Ritterfilm.
Die mittelalterliche, in Gedichtform geschriebene Romanze „Sir Gawain und der Grüne Ritter“ gehört zum Umkreis der Artus-Legenden; der Autor ist unbekannt. Lowery hat dieses Gedicht aus 2500 Wörtern zu einem unglaublichen visuellen Poem umgearbeitet, das wohl jeden Zuschauer umhauen wird. So etwas hat die Welt noch nicht gesehen! Doch wer ein action-reiches Ritter-Abenteuer erwartet, sollte sein Eintrittsgeld sparen. Hier wird 125 Minuten lang eine Meta-Kunst zelebriert: Film über Film. Auch das Anschauen muss geübt sein. Denn statt eine geradlinige Handlung erzählt zu bekommen, muss sich sich der Zuschauer die einzelnen Teile mühsam zusammenbasteln. Ein bisschen mittelalterliches Vorwissen hilft dabei.
Sir Gawain (Dev Patel), Neffe von König Artus (Sean Harris), hat sich bislang noch nicht mit Ruhm bekleckert. Stattdessen liegt er lieber im Bett der Magd Essel (Alicia Vikander). Nach einer erfüllten Liebesnacht hetzt er zur Burg Camelot, um rechtzeitig bei der weihnachtlichen Tafelrunde zu erscheinen. Plötzlich taucht wie ein Geist der Grüne Ritter auf – ein Horrorwesen ganz in grün. Er fordert einen der Ritter heraus: Wenn der ihn besiegt und er trotzdem lebend den Saal verlässt, muss sich der Ritter nach einem Jahr in der grünen Kapelle hoch im Norden dem zweiten Kampf stellen. Artus fühlt sich zu alt, also springt Sir Gawain ein. Er schlägt dem Grünen Ritter den Kopf ab, doch der reitet mit seinem Kopf unter dem Arm davon.
Im Laufe des kommenden Jahres macht sich der Angsthase Gawain fast in die Hosen. Essel möchte unbedingt eine „Lady“ werden, doch all ihre körperlichen Überredungskünste reichen nicht aus. Gawain bleibt stur. Dann rafft er sich für den langen Ritt auf. Jetzt beginnt die Magie: Ein junger Wegelagerer (Barry Keoghan) raubt ihn aus und lässt ihn gefesselt zurück. Gawain scheint gestorben zu sein, kann sich aber befreien und wandert nach Norden, begleitet von einem sprechenden Fuchs. Er trifft im Nebel auf Riesen, die wie Aliens wirken – eine der stärksten Szenen des Films. Unterwegs freundet er sich mit einem Burgherrn (Joel Edgerton) und dessen Frau (auch: Alicia Vikander) an, die ihn zu verführen versucht. Das Treffen mit dem Grünen Ritter endet in einem Desaster.
David Lowery hat einen atemberaubenden Film über Magie und Mythen gedreht – aber keinen Fantasy-Film im Stil von Harry Potter. Der Regisseur nimmt die Mythen ernst – schon allein die Zwischentitel (!) in altertümlichen Schrifttypen sprechen eine deutliche Sprache. Hier will ein Regisseur den Historienfilm neu erfinden – und es gelingt ihm. „The Green Knight“ ist ein einziger visueller Rausch in Farben und Formen. Gemeinsam mit der einfühlsamen Musik und zwei großartigen Schauspielern (Alicia Vikander, Dev Patel) kreiert David Lowery ein geniales Gesamtkunstwerk. Einziges Manko: Der Film ist so bizarr, dass nicht jeder Kinozuschauer merkt, wie toll der Film ist. Viele werden den Saal verstört verlassen. Falsche Erwartungshaltungen können auch irritieren.
The Green Knight (USA 2021)
130 Minuten
Fantasy / Drama
David Lowery
David Lowery
Dev Patel, Alicia Vikander, Joel Edgerton, Sarita Choudhury, Sean Harris, Kate Dickie, Barry Keoghan, Erin Kellyman, Helena Browne, Ralph Ineson
Telepool GmbH