The Card Counter

03.03.2022

Der US-Regisseur Paul Schrader (Jahrgang 1946) galt immer als der Außenseiter der Generation von „New Hollywood“. Bekannt wurde er als Drehbuchautor von „Yakuza“ (1974) und dem Martin-Scorsese-Meisterwerk „Taxi Driver“ (1976), ehe er sich selbst auf den Regiestuhl setzte. Und dieser Scorsese war jetzt Mitproduzent in Schraders neuem melodramatischen Thriller THE CARD COUNTER.

Auf den ersten Blick führt William Tell (Oscar Isaac) ein langweiliges Leben. Als scheinbar verlorene Seele reist er in den USA von Casino zu Casino, um als Black-Jack-Spieler seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Denn eines kann er wie kein Zweiter: Karten zählen (Filmtitel!), was ihm bei diesem Spiel einen Riesenvorteil verschafft. Er setzt ganz bewusst nur kleine Beträge, damit das Casino-Management ihm nicht auf die Schliche kommt – sonst droht ihm Hausverbot. Und er übernachtet in billigen Motels am Stadtrand, um ja nicht aufzufallen. Doch was treibt ihn zu diesem tristen Leben?

In einer grandios inszenierten Rückblende klärt uns Paul Schrader über die Motive auf. Als US-Soldat war William Tell während des Irak-Krieges an den Folterungen im berüchtigten Abu-Ghraib-Gefängnis beteiligt. (Diese Sequenz drehte der Regisseur mit extremen Weitwinkel-Perspektiven, grellen Farben und surrealistischen Szenen wie eine Hommage an den niederländischen Maler Hieronymus Bosch, wie Schrader selbst zugab.) Die Vorgesetzten wurde nie zur Verantwortung gezogen, doch William war auf den Fotos zu erkennen und wurde zu achteinhalb Haft in einem Militärgefängnis verurteilt. Dort lernte er das Kartenzählen (und den „Wert“ der einzelnen Karten). Zurück in der Freiheit, hat er nur einen Gedanken: Rache!

In einem der Casinos spricht ihn ein junger Mann an: Cirk (Tye Sheridan), dessen Vater ebenfalls an den Abu-Ghraib-Aktionen beteiligt war und der Selbstmord begangen hat. Jetzt will er dessen damaligen Vorgesetzten Gordo (Willem Dafoe), inzwischen ein erfolgreicher Militärberater, umbringen. Um den zornigen Cirk erst einmal hinzuhalten, bietet William ihm an, ihn mit auf die Casino-Tour zu nehmen. Er zahle alles – zumal ihm die undurchsichtige Sponsorin La Linda (Tiffany Haddish) die Reise finanziert. William entpuppt sich als Menschenfreund und macht mit dem kaum zu bremsenden Cirk einen bizarren Deal: Wenn du wieder Kontakt zu deiner Mutter aufnimmst, werde ich eine Frau flach legen. Der „einsame Wolf“ zeigte bislang wenig Interesse am anderen Geschlecht.

Man muss den minimalistischen Stil von Paul Schrader mögen, um Zugang zu THE CARD COUNTER zu finden. Über weite Strecken klärt uns William Tell im ersten Teil des Films über die Rituale seines Berufes auf: Da werden Regeln erklärt – wobei so mancher Zuschauer sich fragt: Muss ich das wissen? Allmählich wird klar: Der Film ist eine Verbeugung vor einem der großen Meisterwerke des europäischen Kinos. Vor Jahrzehnten schrieb Schrader eine denkwürdige Monografie über drei Außenseiter der Filmgeschichte: Dreyer, Ozu und Bresson. Und dieser Robert Bresson zeigte in „Pickpocket“ (1959) das Leben eines Taschendiebes. Auch damals wurden die Rituale und Regeln eines ungewöhnlichen „Berufs“ minutiös beschrieben – dann kam die Liebe ins Spiel, und der Film endete im Knast. So wie THE CARD COUNTER. Denn auch William Tell gönnt sich die finale Rache!

P.S. Nicht jeder muss sich in der Filmgeschichte auskennen. Doch es macht Spaß!

Trailer

ab16

Originaltitel

The Card Counter (USA 2021)

Länge

112 Minuten

Genre

Thriller / Drama

Regie

Paul Schrader

Drehbuch

Paul Schrader

Darsteller

Oscar Isaac, Tiffany Haddish, Tye Sheridan, Willem Dafoe, Alexander Babara, Bobby C. King, Kat Baker, Bryan Truong, Dylan Flashner, Adrienne Lau, Joel Michaely, Rachel Whithey

Verleih

Weltkino Filmverleih GmbH

Filmwebsite

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