Wie lebt man in Zeiten des Krieges? SPIEGELUNG spielt zu Beginn der blutigen Kämpfe in der Ostukraine, als von Moskau unterstützte Separatisten sich gegen die Regierung in Kiew auflehnten. Der intensive Film über den immer noch andauernden brutalen Bürgerkrieg am Rande Europas ist ein aufwühlendes Drama über das Phänomen, was Menschen einander antun können. „Homo homini lupus“ – der Mensch ist dem Menschen ein Wolf! Doch gleichzeitig federt der ukrainische Regisseur Valentyn Vasyanovych diese Tragödie durch eine ausgefeilte Ästhetik ab – wobei sich mancher Zuschauer fragt: Darf man zu diesem bitterbösen Thema einen so „schönen“ Film drehen? SPIEGELUNG spaltet. Und das ist auch gut so.
Der Unfallchirurg Serhiy trifft sich in Kiew mit seiner Ex-Frau und ihrem neuen Ehemann, um seiner Tochter zum Geburtstag zu gratulieren. Sie hat sich von ihrem Stiefvater ein Paintball-Event gewünscht. Und so beobachten in einer umfunktionierten Turnhalle drei Erwachsene das junge Mädchen, wie es in seinem weißen Schutzanzug mit einer Farbpistole auf andere schießt, während im Osten des Landes Menschen sterben. Das ist metaphorisch natürlich extrem aufdringlich, passt aber zur Stimmung des Films. Diese drastische Symbolik wird uns Zuschauer bis zum Ende begleiten.
In seinem Krankenhaus kämpft Serhiy einen aussichtslosen Kampf, um das Leben von verwundeten Soldaten zu retten. Bei einem berufsbedingten Ausflug in die Ostukraine landet er aus Versehen hinter den feindlichen Linien und wird von den Russen gefangen genommen. Erst wird er gefoltert, dann als Chirurg missbraucht. Auch dort soll er Soldaten zusammenflicken. Im Nebenjob hilft er einem Russen, das mobile Lkw-Krematorium zu bestücken. Schrecklicher kann ein Albtraum nicht sein! Einer der Verwundeten, denen er helfen soll, ist der Stiefvater seiner Tochter und gleichzeitig sein langjähriger Freund. Dieser hatte ein Attentat begangen und ist nach wochenlanger Tortur dem Tod näher als dem Leben. Der verzweifelte Serhiy gibt ihm den Gnadentod. Nach einem Video-Schuldbekenntnis, heimlich die Grenze überschritten zu haben, darf er beim nächsten Gefangenenaustausch zurück nach Kiew.
Hier könnte der erschütternde Film zu Ende sein, doch der Regisseur gönnt uns eine Art Erlösung. Nach dem Verschwinden ihres Mannes bittet seine Ex-Frau Serhiy, sich um die gemeinsame Tochter zu kümmern. Die Symbolik nimmt kein Ende: Ein Taube fliegt gegen seine Wohnzimmerscheibe und stirbt. Vater und Tochter beerdigen sie am Lagerfeuer (Krematorium Teil zwei!).
Ich kann verstehen, dass viele diese Hyper-Symbolik ablehnen – der Regisseur gibt hier seinen Gegnern eine klassische Vorlage. Im Osten hatte Serhiy mit seinem russischen „Kumpel“ einen Deal gemacht, die Leiche nicht zu verbrennen, sondern heimlich zu vergraben und der Familie des Toten gegen viel Geld den Ort zu verraten. So bekommt seine Ex-Frau ihren Mann zurück – ohne zu ahnen, wer ihn letztendlich umgebracht hat.
Das ist offensichtlich starker Tobak – doch mich hat’s überzeugt. Gerade durch durch die raffiniert arrangierten Tableaus – oft minutenlang in einer Einstellung mit unbeweglicher Kamera gedreht – schafft es der Regisseur, ein ästhetisches Gegengewicht zum tragischen Thema zu bilden. Im zu Tränen rührenden Finale gibt es dann eine Art Hoffnung. Ein großer, wichtiger Film!