Saoirse Ronan: „Ich finde es wichtig, zu reisen und an verschiedenen Orten zu leben“

Es gibt Interviews, auf die freut man sich ganz besonders. Entweder, weil man den oder die Schauspieler/in selbst gerne auf der Leinwand sieht, weil Kollegen von wunderbaren Menschen vorschwärmen oder weil ein Film einfach so gelungen ist, dass man mehr darüber erfahren möchte. Ganz selten kommen alle diese Punkte zusammen und man hat das große Glück auf Menschen wie Saoirse Ronan zu treffen. Die 21-jährige wurde in New York als Tochter irischer Auswanderer geboren, zog aber bereits mit drei Jahren wieder zurück nach Irland. Ronan wurde im Alter von 13 durch ihre Nebenrolle der Briony Tallis in ABBITTE bekannt. Danach war sie u.a. in Peter Jacksons IN MEINEM HIMMEL, WER IST HANNA, SEELEN oder GRAND BUDAPEST HOTEL zu sehen. In BROOKLYN spielt sie die junge Eilis Lacy, die aus Irland nach Brooklyn auswandert und dort die große Liebe findet. 

Das Besondere an Saoirse, deren Name sich übrigens „Sur-Sha“ ausspricht, ist aber ihre zauberhafte Natürlichkeit. Als sie den Interview-Raum betritt, strahlt sie über das ganze Gesicht und gibt bereitwillig und ausführlich auf alle Fragen Auskunft, obwohl sie das inzwischen mit Sicherheit bereits Hunderte von Malen getan hat. Sie springt sogar während der ersten Frage auf, um selbstständig die Klimaanlage auszuschalten, schließlich sei das „sicherlich besser für Eure Aufnahmegeräte“. Ein Vollprofi, der trotz des großen Erfolges nicht die Bodenhaftung verloren hat. Selten ist mir bei Interviews ein solch wunderbarer Mensch begegnet. Aber bevor ich vollends der Schwärmerei verfalle, kommen wir zum Interview selbst:

Die Geschichte ähnelt in gewisser Weise Ihrer eigenen, denn Sie sind auch in New York aufgewachsen.

Ich bin in New York geboren worden. Meine Eltern sind in den 1980er Jahren aus denselben Gründen dorthin gezogen wie Eilis. Sie haben dort Arbeit gesucht, denn in Irland gab es zu dem Zeitpunkt keinerlei Perspektiven für junge Menschen. Das ist dann auch in etwa das, was wir machen: Wir verlassen das Land und kehren irgendwann zurück. Wir sind eine Nation der Auswanderer, wie John (Crowley, der Regisseur) es bereits so schön formuliert hatte. Als ich drei Jahre alt war sind wir dann zurück nach Irland gegangen. New York und Irland sind durchaus zwei prägende Orte in meinem Leben gewesen und haben einen großen Einfluss auf die Person gehabt, die ich heute bin. Daher war dieser Film genau das erste wirklich irische Projekt für mich, da ich zu Amerika dieselbe Beziehung habe.

War das der Grund, warum Sie diese Rolle annehmen wollten? Oder ist das zu einfach gedacht?

Ja, ich denke schon. Aber es wurde zu so viel mehr, als erst einmal die Dreharbeiten begonnen hatten. Zwischen dem Zeitpunkt, an dem ich unterschrieben hatte, bis zum Drehstart ist fast ein Jahr vergangen. In dieser Zeit bin ich nach London gezogen. Als wir dann anfingen, den Film zu drehen, hatte ich gerade absolutes Heimweh, diese Schwere, die man fühlt und diese Ungewissheit, wo man eigentlich hingehört. So etwas durchzumachen und gleichzeitig eine Figur zu spielen, die gerade dieselbe emotionale Reise durchlebt, war zwar sehr erfreulich, aber gleichzeitig auch sehr überwältigend.

Sie haben immer zu Hause in Irland gelebt, selbst als Ihre Karriere mehr und mehr aufblühte. War Ihnen klar, dass Sie irgendwann Ihre Heimat verlassen würden?

Ja, denn ich wollte und musste es tun. Ich liebe Irland wirklich sehr und kann mir auch nicht vorstellen, meine Kinder irgendwann irgendwo anders aufzuziehen. Aber man lernt so viel, wenn man an unterschiedlichen Orten lebt. Es ist schön, an so vielen Orten in der Welt drehen zu können, aber die Erfahrungen, die man sammelt, wenn man dort wirklich lebt, ist einfach immens groß. London war für mich immer so etwas wie ein Sprungbrett. Als ich mich entschieden habe, auszuziehen, hat London einfach Sinn ergeben, weil ich hier bereits viele Freunde habe. Daher fühlte sich das an wie der klügste erste Schritt. New York war immer das unvermeidliche Ziel und daher ziehe ich jetzt im Januar dorthin.

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Wenn Sie jetzt nach New York gehen, um am Broadway in THE CRUCIBLE zu spielen, wird das dann für ein absehbare Zeit sein? Oder werden sie komplett nach Brooklyn ziehen?

Während des Theaterstücks werde ich vermutlich nicht dorthin ziehen können, da ich in Manhattan leben werden. Das ist einfach leichter, um jeden Tag zum Theater kommen zu können. Aber ich glaube, dass ich nach dem Stück dorthin ziehen werde. Ich mag zwar Manhattan, aber ich liebe Brooklyn, weil es dieses dörfliche Flair hat. Ich glaube, dass sich Irland und New York aus offensichtlichen Gründen sehr gut ergänzen. Ich denke, dass ich nicht mehr vor Irland davonlaufen muss. Das war vielleicht mit 19 so, aber inzwischen bin ich mehr als glücklich damit, meine Zeit sowohl Irland als auch in den USA zu verbringen.

Wenn Sie Heimweh haben, was vermissen Sie am meisten?

Meine Mutter – mehr als alles andere! Die Szene, in der sich Eilis zum zweiten – und vermutlich letzten – Mal von ihrer Mutter verabschiedet, war für mich sehr niederschmetternd. Der Geburtsname meiner Mutter ist Brennan und Jane Brennan ist die Schauspielerin, die im Film meine Mutter spielt. Sie sieht ihr sogar ein wenig ähnlich. Außerdem vermisse ich das Essen zu Hause und natürlich den Tee.

Skypen Sie denn immer noch mit Ihrem Hund?

Ich weiß wirklich nicht, wie das Gerücht zustande gekommen ist und kann mich nicht daran erinnern, jemals mit meinem Hund geskypt zu haben. Aber mein Hund ist inzwischen tot, daher kann ich das sowieso nicht mehr.

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Mit all diesen unterschiedlichen Orten im Hinterkopf – London, Ireland, New York – was bedeutet Ihnen Zuhause? Ist es für Sie ein Ort oder vielleicht nur ein Gefühl?

Das ist eine gute Frage. Ich glaube, in erster Linie ist es für mich ein Ort, der mir dieses Gefühl gibt – und das ist natürlich Irland. Aber wir haben New York verlassen, als ich gerade drei Jahre alt war, daher habe ich an die Zeit keine wirklichen Erinnerungen. Abgesehen natürlich von einzelnen Ereignissen, aber die waren alle nicht spezifisch für New York. Als ich jedoch später irgendwann wieder dort war, hatte ich diese sofortige Verbindung. Ich weiß nicht, was es war, aber es herrscht eine solche Energie in New York, die regelrecht greifbar ist. Ich habe das sofort gefühlt, als ich dort war und ich habe es geliebt. Irland und New York bieten mir ganz unterschiedliche Dinge, so wie Sicherheit und Freiheit auf ganz verschiedene Art und Weise.

Ich glaube aber auch, dass ein wesentlicher Bestandteil des Gefühls von Zuhause Deine Kindheit ist, bzw. Kinder an sich. Ich hatte genau dieses Gefühl, als ich ausgezogen bin und das nächste Mal, wenn ich das wahrhaftig fühlen werde, wird vermutlich der Zeitpunkt sein, wenn ich hoffentlich meine eigene Kinder habe werde.

Ist das die erste irische Rolle, die Sie spielen?

Ja, ich habe zwar eine abgeschwächte Version meines Akzents in GRAND BUDAPEST HOTEL benutzt, aber der Film spielte ja nicht in Irland. Daher ist das hier in der Tat meine erste irische Rolle.

Ihnen wurden aber doch sicherlich irische Rollen angeboten. Warum haben Sie diese abgelehnt?

Weil sie sich einfach nicht richtig angefühlt haben und irgendwie nicht wirklich passten. Es waren zu dem Zeitpunkt nicht die richtigen Geschichten für mich. Ich war sehr bewusst auf der Suche nach der richtigen Rolle für mich, denn ich wollte unbedingt einen irischen Film machen. Ich bin wirklich stolz auf meine Herkunft und ich liebe meinen Job. Diese beiden Dinge zu verbinden ist natürlich mein Ziel, aber ich wollte nicht um jeden Preis in irgendeinem Projekt mitspielen. Es muss schon das Richtige sein und diese Rolle war nun mal eine sehr persönliche Geschichte für mich. Als der Film fertig war und wir mit ihm beim Sundace Film Festival waren, war der Effekt, den der Film auf alle hatte, eine ziemlich persönliche Sache für mich. Wenn es den Leuten genauso viel bedeutet wie mir, dann kann sich wirklich nicht mehr wünschen.

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Was glauben Sie, welche Teile des Film sprechen die Menschen an?

Das ist vermutlich für jeden unterschiedlich. Ich weiß, dass die Szene, in der Eilis die Briefe in die Schublade legt, immer zu starken Reaktionen im Publikum führt. Ich habe mit Menschen in meinem Alter gesprochen, aber auch mit älteren, die zum Beispiel in einer Fernbeziehung leben und sich dadurch mit dem Film identifizieren konnten. Oder Eltern, deren Kind auszieht und aufs College geht. Dabei geht es vermutlich auch nicht darum, ob jemand irisch ist oder nicht, denn jeder hat so oder so seine eigene Erfahrung mit Fremde. Man muss diese Erfahrung machen, auf eigenen Beinen zu stehen, um herauszufinden, wer man ist und welchen Platz man an diesem neuen Ort einnimmt.

In der heutigen Zeit erleben viele Länder eine riesige Flüchtlingswelle. Glauben Sie, dass dieser Film den Menschen Trost spenden kann? Oder ist das vielleicht zu naiv gedacht?

Nein, ich glaube nicht, dass es das ist. Dies ist die persönliche Geschichte einer Immigrantin, aber wenn wir das zu schätzen wissen und es nachfühlen können, dann bewegt das die Menschen vielleicht dazu, sich in das Schicksal dieser Menschen hineinversetzen zu können. Ich weiß, dass es in Irland sehr viele Menschen gibt, die alles tun, um diese Flüchtlinge willkommen zu heißen, schließlich sind wir bereits so lange Immigranten, wie das Land existiert. Wir wurden hinaus geschmissen, wir sind umhergewandert und wir haben uns selbst verlassen. Wenn sich jemand anderes in dieser Situation befindet, dann muss man sich in deren Lage versetzen. Und wenn dieser Film das für jemanden kann, dann ist das großartig.

Gibt es dort, wo Sie aufgewachsen sind, so etwas wie Besorgnis darüber, dass so viele Menschen das Land verlassen?

Es gibt viele Menschen in Irland, die in kleinen Dörfern leben, diese niemals verlassen und dort ihre Kinder großziehen. Das ist ihr Leben und man kann so etwas schnell verurteilen. Aber für viele Menschen ist das genau das, was sie wollen, ihre Vorstellung vom Glück, das sie selbst gewählt haben. Ich glaube nicht, dass diese Menschen weniger wert sind, weil sie ihren Lebensraum nicht verlassen, aber ich persönlich findet es wichtig, zu reisen und an verschiedenen Orten zu leben. Ich wünschte, es würde mehr Möglichkeiten für junge Leute in Irland geben, so dass Sie das Land nicht verlassen müssen. Aber sie tun es und vielleicht ist das ja auch eine gute Sache.

Es ist in jedem Fall gut für den Rest der Welt.

Das ist es in der Tat.

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Glauben Sie, dass es vielleicht Menschen gibt, die aufgrund des Titels den ultimativen Hipster-Film erwarten und dann enttäuscht sind?

Nein, das glaube ich nicht, denn wir bewerben den Film gut genug, so dass die Menschen wissen, worum es geht. Es ist ja eine sehr klassische und traditionelle Art des Geschichtenerzählens. Aber was interessant ist, ist die Tatsache, dass wir nicht in Brooklyn drehen konnten, weil es dort inzwischen so hipstermässig ist. Wir konnten es dort einfach nicht wie in den 1950er Jahren aussehen lassen. Damals lebten dort nur die Iren und die Italiener, aber das ist heute nicht mehr der Fall. Es gibt dort sehr viele Künstler, es ist angesagt und ein ziemlich teures Pflaster, um dort zu leben. Es ist schon komisch, dass wir nach Montreal gehen mussten, um es dort wie im New York der 1950er Jahre aussehen zu lassen.

Gibt es irgendwen, bei dem sie weiche Knie bekommen würden, wenn Sie ihn oder Sie jetzt hier auf dem Hotelflur treffen würden?

Das wäre wahrscheinlich Stevie Nicks.

Wirklich? Wieso das?

Weil ich sie liebe! Sie ist fantastische und eine der Lieblingssängerinnen von mir und meiner Mutter. Fleetwood Mac ist meine absolute Lieblingsband und ich habe sie schon drei Mal live gesehen. Ich finde, sie ist einfach brillant. Ich werde immer nervös bei Menschen, die ich aus dem Fernsehen kenne oder bei Musikern. Wenn die Leute dasselbe tun wie ich, ist das etwas anderes. Die Tatsache z.B., dass Julie Walters in DINNER LADYS mitgespielt hat, fand ich viel aufregender als alles andere.

Wenn wir gerade beim Thema Musik sind, was machen denn Ihre Ukulele-Fähigkeiten? Sie haben vor geraumer Zeit in Interviews erwähnt, dass Sie das Instrument erlernen wollen.

Oh ja, die Ukulele-Fähigkeiten! Die sind wahrscheinlich schon wieder verblasst, da ich das Instrument vermutlich seit dem Interview nicht mehr richtig gespielt habe. Ich habe damals in New York angefangen, mir das Spielen selbst beizubringen, da meine Dialektlehrerin zu der Zeit eine Ukulele gespielt hat und mir ein wenig gezeigt hat. Das Instrument ist eigentlich recht einfach zu spielen, aber ich habe es seitdem nicht mehr in die Hand genommen. Aber sie ist schön anzusehen.

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Haben Sie den Roman vor dem Dreh gelesen?

Ich habe das Buch bereits vor einigen Jahren gelesen, bevor ich überhaupt wusste, dass es einen Film geben wird und es sehr geliebt. Ich habe es vor Drehbeginn nur noch einmal in die Hand genommen, um mich an die Beziehung von Eilis zu ihrem Vater zu erinnern, denn darauf gehen wir im Film nicht wirklich ein. Es war aber wichtig, um die Dynamik zwischen Eilis, Rose und ihrer Mutter zu verstehen und zu erfahren, warum die Verbindung zwischen Eilis und Rose so stark und besonders war. Es war solch ein großes Opfer von Rose, ihre Schwester aufzugeben und nach New York gehen zu lassen. Ihre Mutter trifft den Nagel auf den Kopf in dieser herzzerreißenden Szene nach dem Tod von Rose, in der sie sagt: „Als Dein Vater starb, hatte ich Euch beide, und als Du nach New York gegangen bist, hatte ich immer noch Rose, aber jetzt habe ich niemanden mehr“. Das bricht einem das Herz.

Hat sich der Autor Colm Tóibín eigentlich in die Dreharbeiten eingemischt?

Nein, überhaupt nicht. Er hat uns sehr unterstützt. Ich wusste nicht, wie der Prozess von ihm und Nick Hornby (Drehbuchautor) war, bevor wir angefangen haben, die Pressearbeit und Q&A zum Film zu machen. Colm hatte hatte für Nick zur zwei Anmerkungen – und das ist komisch, da ich exakt dasselbe gesagt habe. Nick hatte im Drehbuch „Mommy“ geschrieben, statt „Mammie“. Als ich das Drehbuch gelesen habe, sagte ich nur, dass bei uns zu Hause niemand „Mommy“ sagt. „Außerdem sagen wir nicht „Rashers of Bacon“ (Speckstreifen), sondern einfach nur „Rashers“. Aber abgesehen davon ist es großartig!“

Vielen Dank für das Interview.

Wir haben das Interview am 13. Oktober 2015 in London im Rahmen des BFI London Film Festivals geführt.

Im Rahmen der Berichterstattung

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