Die Filme des Österreichers Ulrich Seidl sind nicht jedermanns Sache – auch ich habe meine Probleme. Der Regisseur eckt mit seinen provokanten Dramen am Rande der Gesellschaft – beispielsweise über Hässlichkeit, Übergewicht und Alterssex – überall an. Bei seinem neuen Werk „Sparta“ über das Thema Pädophilie mischte sich inzwischen sogar die Justiz ein. Wurden bei den Dreharbeiten in Rumänien möglicherweise einheimische Kinder und Jugendliche missbraucht? Der Skandal ging schließlich so weit, dass das Filmfest Hamburg in diesem Jahr Ulrich Seidl die geplante Auszeichnung mit dem Douglas-Sirk-Preis verweigerte.
Das Thema in seinem vorletzten Film RIMINI ist dagegen rein rechtlich eher unspektakulär. Es geht um eines der Lieblingskinder der (älteren) Deutschen: den Schlager! Seidl porträtiert hier das frustrierende Leben eines abgehalfterten Sängers, der schon bessere Tage erlebt hat.
Richie Bravo (Michael Thomas) hat sein winterliches Domizil im italienischen Adria-Badeort Rimini aufgeschlagen, der zu dieser Jahreszeit wie ausgestorben wirkt. In den wenigen noch geöffneten Hotels gibt er für einsame ältere Frauen, die extra für diesen Auftritt per Fernbus angereist sind, klägliche Konzerte. Die Musik kommt vom Band, und er schmachtet mit seinen kitschigen Liedern per Mikrofon die Damen an. Abends beglückt er diese weiblichen Fans in deren Hotelzimmern mit einer körperlichen Zugabe – natürlich gegen eine stattliche Bezahlung.
Dieses erniedrigende Leben als Möchtegern-Sänger und Gigolo findet ein jähes Ende, als seine Tochter Tessa (Tessa Göttlicher) unvermutet in Rimini auftaucht. Vor 18 Jahren hatte er sie und ihre Mutter verlassen – jetzt fordert sie von ihm den nie gezahlten Unterhalt, aber bitte alles auf einmal. Doch Richies Leben reicht gerade mal zum Überleben. Woher soll er das Geld nehmen? Er vermietet sogar seine Villa an betuchte Fans und kommt bei einem Kumpel in einem geschlossenen Hotel unter – Not macht halt erfinderisch.
Und so stolpert der übergewichtige Sänger durch eine kalte, menschenverachtende Szenerie, wo man ständig in den windgeschützten Ecken vermummte Gestalten wahrnimmt – afrikanische Flüchtlinge, die in Rimini gestandet sind. Doch dieses brisante Thema greift Seidl leider nicht weiter auf. Am Ende reicht eine perfide Erpressung, um Tessa ihr verdientes Geld zu geben.
Der Regisseur suhlt sich sichtlich in diesem unschönen Milieu: ein musikalischer Niemand im eisigen Niemandsland und seine fülligen weiblichen Fans. Diesen bezahlten Sex kostet Ulrich Seidl in drastischen Szenen bis in alle Einzelheiten aus. Das nennt man wohl in den Augen des Kinozuschauers „fremdschämen“. Immerhin geht Michael Thomas in seiner Rolle als Schlagersänger regelrecht auf – und auch Hans-Michael Rehberg (er starb bereits 2017) in seiner letzten Rolle als Vater von Richie Bravo hinterlässt einen nachhaltigen Eindruck. Doch das Ergebnis ist eher zwiespältig. Das hässliche Europa von ganz unten – das ist Ulrich Seidls Welt. Wer’s mag!
Rimini (Österreich / Frankreich / Deutschland 2022)
116 Minuten
Drama / Komödie
Ulrich Seidl
Ulrich Seidl, Veronika Franz
Michael Thomas, Tessa Göttlicher, Hans-Michael Rehberg, Inge Maux, Claudia Martini, Georg Friedrich
Neue Visionen Filmverleih GmbH