Ridley Scott: Alles, was Sie sehen, habe ich selbst gemacht

Zum Kinostart von DER MARSIANER haben wir den Regie-Altmeister Sir Ridley Scott in Berlin zum Interview getroffen und mit ihm darüber gesprochen, ob er selbst einmal ins Weltall reisen möchte, ob er einen Plan hat und wie es ihm gelungen ist, den MARSIANER so wunderbar umzusetzen. 

Mr. Scott, würden Sie selbst gerne einmal ins Weltall reisen?

Absolut nicht!

Warum nicht?

Mir gefällt es hier. Ich glaube, dass es auf der Erde genug zu entdecken gibt, um mich zu beschäftigen. Wobei ich für den Film ja durchaus zum Mars gereist bin. Ich musste mir ja schließlich überlegen, wie so etwas möglich ist. Ich reise aber lieber in meiner Fantasie, anstatt eine 18-monatige Rundreise zu unternehmen. Sie müssen sich dafür Ihre Freunde sehr genau aussuchen. Überlegen Sie mal, sechs von Ihnen (gemeint sind die Journalisten beim Roundtable-Interview) für 18 Monate auf engstem Raum? Ich denke nicht, dass das funktionieren würde.

ALIEN war für Sie so etwas wie der Startpunkt Ihrer Karriere. Haben Sie den Eindruck, dass sich mit dem MARSIANER jetzt so etwas wie ein Kreis schließt?

Nein, denn mein Plan ist es, keinen Plan zu haben. Wenn mir etwas gefällt, dann mache ich es, ob es nun ein Western oder ein Musical ist. Also mache ich einfach weiter. Wenn ich mit einem Thema liebäugle, dann bin ich heute in der Lage zu sagen: „Kann ich das haben“. Der Trick ist dann aber, es sorgfältig zu entwickeln, damit daraus etwas wird. Ich muss es dann ja auch noch verkaufen. Dazu muss man es erst einmal anschieben, finanzieren und dem Studio erklären, warum es sinnvoll ist. Das ist nicht leicht.

Verkauft aber nicht allein schon der Name Ridley Scott ein Script an die Produzenten und Studios?

Ja, ein wenig. Wenn ich sage, dass ich an etwas interessiert bin, dann macht das die Sache meistens einfacher, aber keinesfalls zu einer sicheren Sache. Man muss es trotzdem noch korrekt schreiben, so dass es einen Sinn ergibt und es das ist, was die Leute heute sehen wollen. Daher muss man seine Augen auf alles Mögliche richten. So habe ich schon früh erkannt, dass man sein eigenes Material entwickeln muss – damit habe ich die meiste Zeit meines Lebens verbracht. Meine Firma Scott Free ist schließlich eine Entwicklungsfirma. Aktuell entwickeln wir drei Serien. Eine davon ist sieben Jahre alt und heißt THE GOOD WIFE. Dann haben wir eine neue Serie mit dem Titel THE MAN IN THE HIGH CASTLE, die auf einem Roman von Philip K. Dick basiert. Sie sehen also, dass bei uns gerade eine ganze Menge passiert. Zusätzlich suche ich noch nach den Werken anderer Regisseure, um sie zu produzieren. Das ist das, was ich täglich mache.

Sie wählen für sich also immer das aus, was ihnen in den Fingern juckt?

Ja, im Prinzip schon. Was immer mir auch die Leidenschaft gibt, es machen zu wollen. Das sind dann auch durchaus vollkommen unterschiedliche Themen. Aktuell arbeite ich am Feinschliff von PROMETHEUS 2, wo die Dreharbeiten mit Michael Fassbender im Februar 2016 starten sollen. Jetzt gerade stellt sich die Frage, ob ich den Film in Australien oder in Toronto drehen will. Dabei geht es natürlich um Steuererlässe, also finanzielle Gründe. Ich liebe daran jede einzelne Minute und bin glücklich.

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Für den aktuellen Film haben Ihre Location-Scouts einen wirklich guten Job gemacht.

Ich bin der Location-Scout!

Sie haben also selbst die Locations gesucht?

Machen Sie Scherze? Alles, was Sie sehen, habe ich gemacht. Ich caste, bin der Location-Scout, sitze jeden Tag mit dem Produktions-Designer und mit dem Editor zusammen. Jeden Tag, wirklich jeden Tag!

Aber wie finden Sie diese Locations dann?

Wie? Na ich habe es hier (zeigt auf seinen Kopf). Ich bin mit einer Vision gesegnet und die ist keinesfalls unecht. Wenn ich das Script lese, dann weiss ich, dass diese Szene in Wadi Rum in Jordanien spielt.

Aber woher wissen, sie, dass es in Wadi Rum in Jordanien so aussieht wie auf dem Mars?

Nun, weil ich dort bereits zwei mal zuvor gewesen bin. (lacht)
Wadi Rum ist vermutlich die spektakulärste Felsformation, die ich jemals gesehen habe. Okay, der Grand Canyon ist natürlich schwer zu schlagen, aber Wadi Rum spielt auf jeden Fall in der gleichen Liga.

Über den gesamten Film hinweg muss dann ja der Eindruck bestehen, dass man sich auf dem Mars befindet. Wie haben Sie das bewerkstelligt, z.b. durch spezielle Filter?

In der Nachbearbeitung lege ich viel Wert auf die Farbkorrektur und erledige das Einzelbild für Einzelbild. Das das digital geschieht, ist das recht schnell. Da heißt es „einen Tick mehr rot“, „hier noch ein wenig mehr grün“, „nächstes Bild“. Das geschieht alles durch meine Erfahrungen in der Kunstschule. Für meine heutige Arbeit war das damals die beste Vorbereitung. Im Prinzip ist das nichts anderes, als zu malen.

In Wadi Rum haben wir eine exakte Replika des Habitats aufgestellt, in dem Mark Watney lebt. Das Original stand in den Studios in Budapest vor einem riesigen Greenscreen, auf dem ich Wadi Rum einblenden konnte. Dazu musste aber der Standort exakt übereinstimmen. Also musste ich mit meinem Team erst nach Wadi Rum und dort den Standort mit Pfählen festlegen. Dann mussten die Digital-Experten 360-Aufnahmen mit allen möglichen Linsen anfertigen, die ich benutzen könnte, damit ich die Aufnahmen später im Studio einsetzen konnte.

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Im Gegensatz zu PROMETHEUS und ALIEN basiert dieser Film mehr auf Fakten, als auf Fiktion. Ist somit auch die Art, wie Sie die Geschichte erzählen, eine andere?

Science-Fiction ist Theater, bei dem alles möglich ist. Dabei muss man aber trotzdem darauf achten, dass Deine Fakten trotzdem einen Sinn ergeben. Wenn Du das nicht tust, dann erhältst Du „Bullshit“ oder einen schlechten Film.

In unserem Fall sprechen wir eher von „Science-Fact“. Alles an dieser Geschichte ist real und möglich. Deshalb wurde es ja auch von der NASA und dem JPL abgesegnet. Außerdem gefiel ihnen der Humor und sie sagten „Genau so ist ein Astronaut“.

Sie haben am Originalbuch kaum Änderungen vorgenommen, lediglich der Sturm zu Beginn und Sie haben das Ende ein wenig mehr dramatisiert.

Ja, denn ich musste den Sturm schnell auf den Punkt bringen. Ursprünglich verlassen sie den Planeten aus einem anderen Grund, aber ich sprach mit dem Autoren und er meinte „Okay…“. Ich erwiderte, dass es auf dem Mars doch sicherlich keine so starken Stürme gibt und er sagte nur „Jepp“. Also haben wir uns entschlossen, dass Thema im Film schnell abzuhaken. Elon Musk hat den Film gesehen und meinte nur, dass sein Wille, zum Mars zu reisen, jetzt noch weitaus größer sei. Er unterstützt die NASA nämlich mit seinen Forschungen und Designs. Die Rettungskapsel, die wir gegen Ende des Films benutzen, entspricht ziemlich genau den Designs von Musk.

Sie haben den MARSIANER gemacht, sowie PROMETHEUS und ALIEN, außerdem produzieren Sie u.a. BLADE RUNNER. Zieht es Sie besonders zur Science-Fiction hin und wenn ja, warum?

Nun, ich mag es einfach. (lacht) Ich überlege nicht lange darüber nach, sondern mache es einfach. BLADE RUNNER 2 ist ja schon ziemlich lange in der Mache. Ich hatte es ursprünglich einmal als Sequel geplant.

Wir haben gerade ein wirklich tolles Buch mit dem Namen CARTEL gekauft. Zudem haben wir die Rechte an der Figur FLASHMAN erstanden, die von George MacDonald Fraser erschaffen wurde. Das wird eine tolle Serie ergeben. Ich halte meine Augen auch immer nach guter Literatur offen, aber gleichzeitig warte ich auch auf Fiction.

Welche Effekt hat Science-Fiction auf Sie?

Ich muss jetzt wirklich aufpassen, was ich sage, denn ich war nie ein Science-Fiction-Leser. Ich habe es immer als viel zu exotisch empfunden. Ich werde hier jetzt keine Namen von Autoren nennen, denn das wäre unfair. Schließlich gibt es so viele Leute, die eine Leidenschaft für diese Geschichten entwickelt haben. Ich fand sie oftmals ein wenig zu reichhaltig und so konnte ich das partout nicht in meinen Kopf bekommen, bis Kubrick 2001 gemacht hat. Das Buch folgte dem Film und nicht anders herum. Ich glaube, Kubrick hat sich eines der Bücher von Arthur C. Clarke genommen, das recht wenig mit dem Thema zu tun hatte, und sich davon inspirieren lassen. Dann hat er den Film zusammen mit Clarke entwickelt. Von dem Moment an dachte ich, dass das ein gewaltiger Schritt in die richtige Richtung war.

Über weite Strecken des Films ist Matt Damon allein zu sehen. Woher wussten Sie, dass das funktionieren würde? Es gibt schließlich nicht viele Schauspieler, die das können.

Intuion, Erfahrung – und zudem ist er auch noch ein toller Typ. Voiceover kann sich sehr schnell abnutzen und so mussten wir eine andere Lösung finden. Daher erarbeite ich bei den Proben die Texte gemeinsam mit den Schauspielern. Matt äußerte anfangs die Bedenken, dass es keine Anzeichen von Angst gab. „Nun“, erwiderte ich, „Astronauten sind erwachsen und zeigen niemals Angst. Aber ich stimme Dir zu, wir sollten die Angst irgendwo zeigen“. Man weiß ja, dass ein Schauspieler in einem Drama oder einem Theaterstück in der Lage ist, die Emotionen des Publikums zu beeinflussen. Also mussten wir gut überlegen, an welcher Stelle wir diese Angst einbauen und haben darüber diskutiert. Du kannst so etwas nicht einfach irgendwo einbauen, es muss schon sinnvoll sein. So wird Angst auch durch eine Häufung von Informationen hervorgerufen. Die ganzen Gespräche darüber sind recht klinisch, aber ich weiß, dass er es kann und er weiß dass ich das mit ihm erreichen kann.

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Wenn Mark Watley kein Botaniker gewesen wäre, wäre er vermutlich verhungert. Was ist für Sie die wichtigste Fähigkeit eines Regisseurs?

Unbarmherzig zu sein. Ich bin unbarmherzig.

Benötigt man vielleicht auch einfach ein unglaubliches Ego wie beispielsweise Werner Herzog?

Ich habe das nicht und ich glaube, ich brauche das auch nicht.

Die Verantwortung, die sie bei diesen großen 100-Millionen-Projekten tragen, muss doch immens sein? Wie bewältigen Sie das?

Das ist vergleichbar, als wenn Sie mit Haien schwimmen gehen. Wenn Sie das erst einmal gemacht haben, ist das alles gar nicht so schwer. Wenn Sie dann wissen, wie man die Haie streichelt, ist alles gut. In meinem Job geht es darum, sich Stück für Stück daran zu gewöhnen und ich habe sehr gut daran gewöhnt.

Ich hatte das Glück, in der Hochzeit der Werbung tätig zu sein. Wir waren damals so etwas wie heute das Internet. Die Werbewelt fing gerade erst an, sich selbst du entdecken. Ich habe fast 2.500 Werbespots gedreht, das waren etwa 150 Spots im Jahr. Das war für mich die beste Filmschule, die ich hätte besuchen können, denn es handelte sich nicht um die typischen Werbespots für Babynahrung, wo eine Mutter ihr Kind füttert. Ich habe zum Beispiel Apple für Steve Jobs gemacht. Die besten Stories haben aber immer die Zigaretten-Spots erzählt. Ich habe vier große Spots für Benson & Hedges gemacht. Der tägliche Kampf mit den Agenturen, das Aushandeln der Budgets war sehr lehrreich. Denn wenn Du Dein Budget überziehst, dann verliert Deine Firma bares Geld. So ist jede einzelne Minute mit einem Dollarzeichen verbunden und ich habe daraus viel gelernt. Meinen ersten Film habe ich dann ja auch erst mit 40 gemacht.

Mit Ellen Ripley haben Sie so etwas wie die erste weibliche Actiondarstellerin entwickelt.

Ich habe darüber die so intensiv nachgedacht, aber die Leute sagen mir das immer wieder. Als ich meine Werbefilme gedreht habe, hatte ich es mit Agenturen auf der ganzen Welt zu tun und alle diese Firmen wurden von Frauen geleitet. Sie hatten diese Jobs inne, weil sie einfach die besten auf ihrem Gebiet waren. Ich will nicht sagen, dass es keine männlichen Manager gab, aber diese Frauen waren einfach hart im Nehmen.

Alle bisherigen Crusoe-ähnlichen Filme haben männliche Hauoptdarsteller, z.B. Tom Hanks in CASTAWAY, Will Smith in I AM LEGEND oder Sam Rockwell in MOON. Wäre Ihnen eine weibliche Astronautin, die auf dem Mars zurückgelassen wird, lieber gewesen?

Nein, darüber habe ich die nachgedacht. Zum damaligen Zeitpunkt war Ripley eine zufällige Entscheidung. Irgendwer sagte zu mir, ob ich ein Problem damit hätte, die Hauptrolle einer Frau zu geben, was ich natürlich verneinte. Und als wir dann nach einer Frau gesucht haben, fanden wir Sigourney Weaver. So einfach war das.

Ich bin selbst kein großer Fan von 3D und finde, dass es nur eine Handvoll Filme gibt, bei denen sich der Einsatz lohnt. Dieser Film zählt für mich dazu. Was haben Sie anders gemacht als all die anderen Regisseure zuvor?

Ich weiß, dass ich jetzt wieder langweilig werde, aber ich bin nun mal ein Visualist und bin gesegnet mit einem guten Auge. Ich bin aber genauso mit einem tollen Kameramann gesegnet: Dariusz Wolski. Ich habe bereits vier Mal mit ihm gearbeitet und würde ihn durchaus als meinen Lieblingskameramann bezeichnen. Wir sind ein sehr gutes Team. Manchmal sagt er, dass wir an dieser Stelle des Films zu viel 3D haben und dann haben wir es entsprechend angepasst.

Also geben Sie dem Auge auch die Möglichkeit, sich zu erholen?

Ja, aber ich nutze auch keine Effekte, bei denen den Leuten etwas entgegen springt, denn das wird sehr schnell kitschig. Aber stellen Sie sich einmal vor, wir hätten bei ALIEN bereits 3D gehabt. Die Szene, in der John Hurt in das Ding schaut und es herauskommt – das wäre ein idealer Einsatz für 3D. Oder wenn das Ding aus seiner Brust steigt.

Können Sie uns etwas über ihr eines ihrer nächsten Projekte – POTSDAMER PLATZ – sagen?

Das war niemals mein Projekt, sondern das meines Bruders. Ich weiß nicht einmal, ob es überhaupt noch verwirklicht werden soll. Das ist jetzt bereits fünfzehn Jahre her. Damals hätte ich es durchaus gemacht, aber heute ist die Geschichte ein wenig altbacken, wie ich finde. Es ist ein gutes Skript und es geht darin um die Hintergründe der Finanzierung des Potsdamer Platzes, daher käme es jetzt vermutlich ein wenig zu spät.

Sie drehen jedes Jahr mindestens einen Blockbuster. Haben Sie dabei eine bestimmte Vorgehensweise?

Nein, eigentlich nicht. Außerdem habe ich ja auch kleinere Filme gedreht, wie z.B. A GOOD YEAR, MATCHSTICK MEN oder THELMA AND LUISE. Es kommt schlichtweg darauf an, wie sich ein Projekt entwickelt. Wenn es um die Kosten geht, muss ich diese manchmal drücken. So ist es gerade bei PROMETHEUS 2 geschehen. Gerade weil ich ein Geschäftsmann bin, kann ich es nicht verstehen, wenn ein Regisseur daher kommt und 60 oder 70 Millionen über dem Budget liegt. So etwas ist wahnsinnig und so jemand sollte nie wieder die Erlaubnis bekommen, einen Film zu drehen. Man sollte immer genau wissen, was man macht und wenn ich einen Film drehe, dann bleibe ich immer mehr oder weniger im Budget. DER MARSIANER wurde in 70 Tagen gedreht, normal wären 110 bis 120 Tage, aber dann weisst Du einfach nicht, was Du tust. Ernsthaft! Ich wäre ein entsetzlicher Produzent, wenn ich so etwas zulassen würde.

In vielen Science-Fiction-Filmen geht es darum, ein neues Zuhause zu finden oder nach Hause zurück zu finden. Was bedeutet Zuhause für Sie persönlich? Ist ein Gefühl oder ein Ort?

Ich glaube, es ist ein Ort. Ein Ort, den Du Dir aufgebaut hast, mit Möbeln und Kunstwerken um dich herum, die Du über die Jahre gesammelt hast. Bei mir ist das ein wenig in L.A. und ein wenig in Frankreich. In London habe ich mich in den letzten Jahren doch arg verkleinert und verkauft. Zum Glück im absolut richtigen Moment (lacht).

Vielen Dank für das Interview

 

Das Interview haben wir am 21.09.2015 in Berlin geführt.

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