Zynisch gesagt: PETROV’S FLU – PETROW HAT FIEBER ist genau DER Film, den Russland in diesen Tagen verdient hat: ein 152 Minuten langer surrealistischer Albtraum über Gewalt und Chaos – ein blutiger Trip durch ein postsowjetisches, kaputtes Land. Das russische Enfant terrible Kirill Serebrennikov musste jahrelang wegen Hausarrest seine Filme und Theaterstücke per Zoom inszenieren – inzwischen lebt er seit Beginn von Putins Angriff auf die Ukraine in Berlin. Als Vorlage diente der gleichnamige Roman von Alexey Salnikov aus dem Jahr 2016 – ideal für die bizarren Fantasien des ungewöhnlichen Regisseurs.
In einem überfüllten Bus kämpft der Klempner Petrov (Semyon Serzin) mit den heftigen Symptomen seiner Grippe und wird von der energischen Schaffnerin belästigt. An einer Haltestelle nötigen ihn bewaffnete Männern, an einer Erschießung von Zivilisten teilzunehmen. Wenig später landet er in einem Leichenwagen, wo er mit Wodka abgefüllt wird. Seine Frau Petrova (Chulpan Khamatova) arbeitet als Bibliothekarin und hat ständig Mordgelüste gegenüber den männlichen Besuchern des von ihr verhassten Literaturzirkels. Ihr scharfes Küchenmesser ist dabei immer griffbereit. Diese (fiktiven) Mordsequenzen inszeniert Kirill Serebrennikov mit spürbarer Lust am Makabren.
Der gemeinsame Sohn ist auch schwer an Grippe erkrankt – möchte aber für das klassische Neujahrsfest wieder gesund sein, schließlich hat ihm seine Mutter ein besonders schönes Kostüm geschneidert. Derweil träumt Petrov davon, als Schriftsteller und Manga-Zeichner Erfolg zu haben – doch auf seine eingereichten Manuskripte reagiert der Verlag eher zurückhaltend.
Kirill Serebrennikov macht es uns Zuschauern nicht gerade leicht. Manche Episoden verlaufen ins Leere, andere Szenen werden mit minimalen Änderungen mehrmals wiederholt. Außerdem experimentiert er mit drei Filmformaten, das letzte Drittel ist fast komplett in Schwarzweiß gehalten. Und hier taucht eine dritte Hauptperson auf: das „Schneemädchen“ Marina (Julia Peresild), die das Neujahrsfest moderiert. Sie hat nur ein Problem: Die sie umgebenden Männer sieht sie komplett nackt. Welch ein Regieeinfall!
Am Ende sitzt Petrov wieder im Bus – diesmal allein mit der Schaffnerin. Als ob in den vergangenen 152 Minuten nichts passiert wäre. Diese sperrige, extrem wilde Allegorie verdient einen zweiten Kinobesuch. Die Rätsel bleiben…
Petrov's Flu (Russland / Frankreich / Deutschland / Schweiz 2021)
152 Minuten
Drama
Kirill Serebrennikov
Kirill Serebrennikov, nach dem gleichnamigen Roman von Alexey Salnikov
Semyon Serzin, Chulpan Khamatova, Yulia Peresild, Yuri Kolokolnikov, Yuri „Yura" Alexandrovich Borisov, auch bekannt als Yuriy Borisov, Ivan Dorn, Aleksandr Ilyin, Sergey Dreyden, Olga Voronina, Timofey Tribuntsev, Semyon Steinberg, Georgiy Kudrenko
Farbfilm Verleih GmbH