Im Mittelpunkt dieser Filmbiografie steht einer der bedeutendsten US-amerikanischen Dirigenten: Leonard Bernstein (1928-1990), der auch als Komponist große Erfolge feierte – so vor allem mit seinem Musical „West Side Story“. Hollywood-Schauspieler Bradley Cooper wagte jetzt den Versuch, das Leben dieses musikalischen Genies mit allen seinen Facetten in den Griff zu bekommen, als Regisseur, Produzent, Drehbuch-Coautor und Regisseur. MAESTRO ist nach „A Star is Born“ erst seine zweite Regiearbeit.
Schon die Entstehungsgeschichte ist spannend genug: Ursprünglich wollte Steven Spielbergs Produktionsfirma den Stoff verfilmen, mit Regisseur Martin Scorsese und nach einem Drehbuch von Josh Singer. Als Scorsese wegen seines Projekts „The Irishman“ absagen musste, wollte Spielberg selbst die Regie übernehmen und besetzte schon mal Bradley Cooper als Hauptdarsteller. Als er dann dessen Regiedebüt „A Star is Born“ bei einem gemeinsamen Treffen sehen durfte, war die Entscheidung gefallen: Cooper werde den Film unter eigener Verantwortung in Personalunion drehen. Der Rest ist Geschichte.
Gemeinsam mit Josh Singer überarbeitete Bradley Cooper das Drehbuch und besetzte sich selbst für die Hauptrolle – wie schon in „A Star is Born“, damals an der Seite von Lady Gaga. Diesmal war sein sensationeller Besetzungscoup, die Rolle von Bernsteins chilenischer Ehefrau Felicia Montealegre der Britin Carey Mulligan zu übertragen. Welch ein Glücksgriff!
Cooper erkannte bei der Planung sofort die Gefahr: Ein klassisches Biopic kann leicht dröge wirken. Und so verzichtete er konsequent auf eine lineare Erzählweise – der Film wirkt in seiner elliptischen Struktur scheinbar sprunghaft. Dazu wechselt er ständig zwischen Schwarz-Weiß und Farbe sowie unterschiedlichen Bildformaten. Der Zuschauer ist sich seiner Sache also nie sicher.
Schnell wird klar: In Zentrum von MAESTRO steht Leonard Bernsteins Bisexualität, die lange unter den Tisch gekehrt wurde. Wie kann ein dreifacher Familienvater und musikalischer Superstar, den es ständig zu jungen Männern zieht, im konservativen USA der 1950er- und 1960er-Jahre überleben?
Leonard Bernstein (Bradley Cooper) und die chilenische Schauspielerin Felicia Montealegre (Carey Mulligan) lernen sich 1946 auf einer Party kennen, heiraten 1951 und bekommen drei Kinder. Doch schon kurz nach ihrer Hochzeit entdeckt Felicia Leonards dunkles Geheimnis: Ihr Mann ist homosexuell. Sie akzeptiert ihre Rolle, verlangt aber von Leonard, dass ihre Kinder nie etwas davon erfahren. Das spielt Carey Mulligan einfach grandios.
Cooper verkörpert den Dirigenten bis in dessen hohes Alter (Bernstein starb mit 72 Jahren) – am Ende mit einer verblüffend echten Maske, auch wenn sich viele an der übertriebenen Nasenprothese stören. Manche Kritiker sprechen sogar von „Judennase“! Doch diese Zeit des Rassismus sollte nun wirklich endgültig vorbei sein.
MAESTRO lebt von seiner Musik. Man spürt in jeder Szene, dass Bradley Cooper ursprünglich Dirigent werden wollte – hier stimmt jeder Takt. Beim Höhepunkt dirigiert Cooper alias Bernstein in der englischen Kathedrale von Ely eine Aufführung mit Solisten, Chor und Orchester der „Auferstehungssinfonie“ von Gustav Mahler, dem Lieblingskomponisten von Leonard Bernstein.
Ein großer Wurf – mit nur einem Schönheitsfehler: Wer den Film in der Originalfassung sieht, wird sich vermutlich an Coopers bizarrem Akzent stören. Der Schauspieler hatte versucht, Bernsteins nasale Sprache zu imitieren. Doch so merkwürdig hatte Bernstein nie geredet, was seine vielen mitgeschnittenen TV-Auftritte beweisen. Schade!
Meine Lieblingsszene: Bei einem Kursus mit Beethovens „Fünfter“ staucht Bernstein einen Jung-Dirigenten gnadenlos zusammen, um danach nachts mit genau diesem Mann in der Disco zur Musik von „Depeche Mode“ heiß zu tanzen. Besser kann man den Zwiespalt eines Genies nicht umsetzen!
Fazit: Auch wer keinen Zugang zur Musik von Bernstein oder Mahler hat, sollte sich diesen Film nicht entgehen lassen.
Maestro (USA 2023)
129 Minuten
Biograhie / Drama / Musik
Bradley Cooper
Bradley Cooper, Josh Singer
Carey Mulligan, Bradley Cooper, Matt Bomer, Maya Hawke, Sarah Silverman, Josh Hamilton, Scott Ellis, Gideon Glick, Sam Nivola, Alexa Swinton, Miriam Shor
Netflix
Im Kino ab dem 06.12.2023, ab dem 20.12.2023 auf Netflix verfügbar