Es scheint besonders in diesem Jahr einen Trend zu geben, altgediente Genres mittels einer überbordenden Zitat-Wut mit neuem Leben zu füllen – sei es den Western („Horizon“, ab 22.08.2024), den Body-Horror („The Substance“, ab 19.09.2024) oder in diesem Fall den Serienmörder-Thriller. Das muss nicht immer gelingen. Doch hier funktioniert es – mit sensationellem Erfolg! LONGLEGS von Osgood Perkins ist in fast jeder Szene eine Verbeugung vor dem Klassiker „Das Schweigen der Lämmer“ von Jonathan Demme und gleichzeitig eine atemberaubende Reise durch die Filmgeschichte. Eine Welt voller Anspielungen! Das klingt auf den ersten Blick allzu eklektisch – doch hier fühlt sich jeder eingefleischte Filmfan zu Hause. LONGLEGS ist ein Fest für Cineasten. Aber zur Beruhigung aller anderen: Auch ohne Vorwissen ist dieser Film ein „gruseliger“ Spaß – für jeden!
Der Beginn ist irritierend genug: Nach einem heftigen Streit mit seiner alleinerziehenden Mutter rennt ein kleines Mädchen voller Panik aus dem abgelegenen Haus irgendwo in der amerikanischen Provinz. In der Ferne sieht es ein scheinbar leer stehenden Auto. Auf der Suche nach Hilfe rennt das Mädchen auf das Auto zu und steht plötzlich vor einem ganz in Weiß gekleideten Wesen (Mann/Frau?), das die Kleine mit verstörend hoher Stimme anspricht. Die verwackelte Kamera des im altmodischen 4:3-Format gedrehten Filmchens zeigt uns das Gesicht nur bis zum Kinn.
Schnitt. Breitwand, Jahre später. Aus dem kleinen Mädchen ist inzwischen die FBI-Agentin Lee Harker (Maika Monroe) geworden, die wie einst Clarice Starling (aus „Der Schweigen der Lämmer) beim Fitness-Training durch die Wälder hetzt. Gemeinsam mit ihrem Chef Carter (Blair Underwood) verfolgt sie einen geheimnisvollen Serienmörder namens Longlegs, der seit Jahren unbescholtene Familienväter dazu bringt, Frau und Kinder abzuschlachten und sich danach umzubringen. Doch niemals hatte Longlegs Kontakt zu diesen Männern, geschweige denn deren Häuser betreten.
Das FBI steht vor einem Rätsel. Da Lee in einem früheren Fall einen sechsten Sinn bewiesen hatte, hat Carter sie in sein Team geholt. Doch warum erhält Lee nach jeder Mordorgie eine persönliche Nachricht von Longlegs höchstselbst? Und warum ist Lees Mutter Ruth Harker (Alicia Witt) in den Fall verstrickt? Auch Lee Harkers Besuch bei einem verurteilten Mörder im Hochsicherheitstrakt (wer denkt da nicht an Clarice Starling?) bringt das FBI keinen Schritt weiter. Doch dann taucht Longlegs endlich auf…
Wir Zuschauer mussten lange auf ihn warten. Regisseur Osgood Perkins, übrigens der Sohn von Hitchcock-Ikone Anthony Perkins („Psycho“), lässt sich viel Zeit, die Katze aus dem Sack zu lassen. Es ist kein Spoiler, zu verraten, wer diesen Serienmörder spielt. Ein Blick auf das Filmplakat genügt: Diesen Hollywood-Star kennt wohl jeder – aber nicht unbedingt in diesem Film. Denn wiederzuerkennen ist Nicolas Cage hier nicht. Da spielt ein Star mit seinem Image und liefert dabei eine sensationelle Rolle ab.
LONGLEGS ist kein Whodunit-Krimi. Die Demaskierung des Täters ist wirklich nur Nebensache. Regisseur Osgood Perkins will uns stattdessen mit seinen visuellen Tricks und raffinierten Anspielungen nur ständig auf falsche Fährten locken – bis zur mehr als bizarren Pointe. Hier hat ein Regisseur das Horror- und Thriller-Genre verstanden. LONGLEGS ist eine Hymne an die Magie des Kinos!
Longlegs (USA 2024)
102 Minuten
Horror / Thriller
Osgood Perkins
Osgood Perkins
Maika Monroe, Nicolas Cage, Blair Underwood, Alicia Witt, Michelle Choi-Lee, Dakota Daulby
DCM Film Distribution GmbH