Thomas Brasch (1945 – 2001) war eine der ungewöhnlichsten Persönlichkeiten im deutsch-deutschen Kulturleben: Theaterautor, Lyriker, Übersetzer, Filmregisseur und Provokateur. Mit seiner Unangepasstheit war er weder in der DDR noch in der BRD zu Hause – ein Querulant, der sich zwischen alle Stühle setzte und wohl jeden verschreckte. Aus seinem bewegten Leben hat Regisseur Andreas Kleinert nach einem Drehbuch von Thomas Wendrich („Je suis Karl“) einen aufrüttelnden Film gemacht. LIEBER THOMAS ist 150 Minuten lang, komplett in Schwarz-Weiß gedreht und bärenstark! Einer der besten deutschen Filme des Jahres!
Einer der derzeit angesagtesten Filmschauspieler unseres Landes übernahm die schier unlösbare Aufgabe, dieses extreme Leben mit Inhalt zu füllen: Albrecht Schuch („Systemsprenger“, „Berlin Alexanderplatz“). Seine kongeniale Leistung verdient ALLE Preise, die das Kino zu vergeben hat. Er spielt diese gequälte Seele, als wäre dieser Mensch sein Alter Ego.
Brasch wird 1945 in England als Sohn eines emigrierten Kommunisten geboren. Nach Gründung der DDR zieht Horst Brasch (Jörg Schüttauf) mit seiner Familie nach Ost-Berlin und wird ein führender Funktionär des neuen Staates. Doch schon der junge Thomas Brasch will sich nicht anpassen und legt sich ständig mit der Staatsführung an. Als 1968 Truppen des Warschauer Pakts in die CSSR einmarschieren, protestiert er wie viele Gleichgesinnte. Wegen „staatsfeindlicher Hetze“ wird er in der Wohnung seiner Eltern (!) verhaftet und zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Offenbar rührt sein Vater dabei keinen Finger. Nach 77 Tagen Einzelhaft wird er auf Bewährung entlassen, verliert aber seinen Platz als Dramaturgie-Student. Als sein Prosaband „Vor den Vätern sterben die Söhne“ von keinem DDR-Verlag angenommen wird, spricht er persönlich bei einem Freund seines Vaters vor: Erich Honecker (Pointe: auch gespielt von Jörg Schüttauf; den verkörperte er bereits in „Vorwärts immer!“). Nach der Ausbürgerung von Wolf Biermann reicht es Thomas Brasch. Er stellt einen Ausreiseantrag und übersiedelt 1976 mit seiner Freundin Katarina (Jella Haase) nach West-Berlin. (Was viele nicht wissen: Hinter dieser Frau verbirgt sich Katharina Thalbach!)
Regisseur Andreas Kleinert und Drehbuchautor Thomas Wendrich beschreiben auf eindringliche Weise, dass das Leben im neuen Staat nicht einfacher ist. Auch in der BRD bleibt Thomas Brasch ein unangepasster Außenseiter. Hier wird die Biografie eines Mannes gezeigt, der sich zwischen zwei verfeindeten Staaten aufreibt. Ein politischer Film in Reinkultur! Im Westen erhält er das Geld, um drei Spielfilme zu drehen: „Engel aus Eisen“, „Domino“ und „Der Passagier – Welcome to Germany“ (mit Tony Curtis in der Hauptrolle!). Doch der große Erfolg bleibt aus. Einsam und verbittert stirbt Thomas Brasch bei der Arbeit an einem umfangreichen Roman über einen Mädchenmörder 2001 an Herzversagen.
Das hätte eine biedere Filmbiografie über einen heute fast vergessenen Künstler werden können. Doch Kleinert gelingt es, ein spannendes Kapitel deutscher Geschichte intensiv zu beleuchten – nur scheinbar streng und nüchtern (wegen der Entscheidung, in Schwarz-Weiß zu drehen). LIEBER THOMAS ist grandioses Kino mit zwei sensationell guten Schauspielern: Jella Haase (die Katharina Thalbach erstaunlich ähnlich sieht) und Albrecht Schuch. Wer diesen Film verpasst, hat selbst Schuld! Trotz der Länge!
Lieber Thomas (Deutschland 2021)
157 Minuten
Biographie / Drama
Andreas Kleinert
Thomas Wendrich
Albrecht Schuch, Jella Haase, Ioana Iacob, Jörg Schüttauf, Anja Schneider, Joel Basman, Emma Bading, Peter Kremer
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