Kulissen der Macht

30.05.2024

Im Situation Room des Weißen Hauses in Washington werden Entscheidungen getroffen, die einen immensen Einfluss auf das Weltgeschehen haben. Doch nach welchen Gesichtspunkten legen die Politiker in den KULISSEN DER MACHT fest, ob man in einen Konflikt aktiv eingreift oder nicht? Dieser Frage versucht der israelische Regisseur Dror Moreh nachzugehen.

Die Dokumentation über die amerikanische Außenpolitik beginnt in Deutschland – mit dem, was unsere Vorfahren verbrochen haben, den Konzentrationslagern der Nazis. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mussten sich die Alliierten die Frage stellen lassen, warum sie beispielsweise keine Infrastruktur der Bahn bombardiert hatten, obwohl sie doch von den Zügen wussten, die die Juden in die Vernichtungslager gebracht haben. Daraus entstanden ist der Ausspruch „Nie wieder“, der sich wie ein roter Faden durch den Film zieht.

Wie auch im bosnischen Srebrenica, in dem während des Bosnienkrieges Mitte der 90er-Jahre Tausende in einer ethnischen Säuberung getötet und in Massengräbern verscharrt wurden. Keine fünfzig Jahre nach Auschwitz. Bis die internationale Staatengemeinschaft eingriff, dauerte es wieder einmal viel zu lange. Drei Jahre später war es dann die Initiative von Bill Clinton, die dem erneuten Morden ein Ende setzte.

Aber auch in Ruanda, wo in knapp 100 Tagen die Hutu-Mehrheit nahezu 75% der Tutsi-Minderheit tötete, musste sich die internationale Politik die Frage stellen, ob man hier eingreifen und Soldaten schicken sollte. Gibt es ein berechtigtes Interesse? Was wären die Folgen eine Eingriffs? Fragen, die sich die Beteiligten im Situation Room immer wieder stellen müssen.

Doch was sind die Bewegründe, sich einzumischen, was spricht dagegen? Warum schickt man Truppen in den Irak, lässt einen Assad in Syrien aber schalten und walten, obwohl er nachweislich die eigene Bevölkerung durch Luftangriffe tötet und selbst vor chemischen Waffen nicht zurückschreckt?

Genau dieser Frage versucht der Regisseur Dror Moreh auf den Grund zu gehen und befragt etliche Zeitzeugen, die die Entscheidungen in den KULISSEN DER MACHT mit getroffen haben. Eine wirkliche Erklärung liefert Moreh hingegen nicht, vielmehr scheint er sich als stiller Beobachter zu sehen, der versuchen will, die Beweggründe zu verstehen. Dafür nimmt er sich stolze 141 Minuten Zeit. Das klingt auf den ersten Blick viel zu lang, gibt uns Zuschauern damit aber unfassbar viel Informationen in die Hand, um uns selbst eine Meinung zu dem Thema zu verschaffen. Zwar hatte ich den Eindruck, den überwiegenden Teil der politischen Sachverhältnisse zu kennen, im Nachgang half aber die geballte Flut an Informationen, um die einzigen Entscheidungen nachvollziehen zu können. Oder zumindest zu verstehen, warum es zu einzelnen davon überhaupt gekommen ist.

Moreh zeigt uns in KULISSEN DER MACHT aber auch erschreckende Bilder, die noch lange nachwirken. Diese Bilder könnten gerade für Menschen, die ein Trauma in Zusammenhang mit Gewalt erlebt haben, verstörend und belastend sein. Dessen muss man sich vor einer Sichtung des Films unbedingt bewusst sein. Aber gerade durch diese expliziten Originalaufnahmen wird besonders deutlich, welch unsagbare Greueltaten sich in Jugoslawien, Ruanda, Kosovo, Irak, Libyen, Syrien ereignet haben. Und warum das Versprechen „Nie wieder“ Krise um Krise nicht eingehalten wurde.

KULISSEN DER MACHT ist ein äußerst wichtiger Film, der uns vielleicht dabei hilft, die Vorgänge in den Machtzentren der Welt ein wenig besser einordnen zu können. Oder uns zumindest in Erinnerung bringt, bei der nächsten Krise nicht mehr wegzuschauen. Denn „Nie wieder“ ist jetzt.

Trailer

ab16

Originaltitel

The Corridors of Power (USA / Israel / Deutschland / Frankreich 2022)

Länge

141 Minuten

Genre

Dokumentation

Regie

Dror Moreh

Drehbuch

Dror Moreh, Oron Adar, Stephan Krumbiegel

Verleih

Films That Matter by Luftkind Filmverleih

Filmwebsite

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