Vor wenigen Wochen waren wir von den überlangen Dokumentarfilm „Gehen und bleiben“ von Volker Koepp – es ging über den Schriftsteller Uwe Johnson – restlos begeistert. Jetzt bringt Dominik Graf mit JEDER SCHREIBT FÜR SICH ALLEIN – SCHRIFTSTELLER IM NATIONALSOZIALISMUS mit 167 (!) Minuten einen ähnlich langen Dokumentarfilm in die Kinos – und auch hier geht es um Literatur.
Als Hitler 1933 an die Macht kam, gab es für für viele deutsche Schriftsteller nur eine Entscheidung: weg! Heinrich Mann, sein Bruder Thomas und dessen Sohn Klaus, Bertolt Brecht, Kult Tucholsky, der Hamburger Hans Henny Jahnn – keiner wollte bleiben. Doch einige Autoren trauten sich nicht, diesen letzten Schritt zu wagen. Und um genau diese geht es: Gottfried Benn, Erich Kästner, Hans Fallada, Ina Seidel und Jochen Klepper.
Angeregt von Anatol Regniers gleichnamigem Buch, Sohn des bekannten Schauspielers Charles Regnier, reflektiert Dominik Graf über die Situation dieser Autoren: Warum sind sie geblieben? Der Begriff „Innere Emigration“ war schnell bei der Hand – doch Graf macht sofort klar: das war ein klassischer Euphemismus. Vor allem der Dichter Gottfried Benn bekommt im Film sein Fett weg – seine Nähe zu den Nazis war doch zu offensichtlich. Erich Kästner verlegte sich aufs anonyme Schreiben – so verfasste er unter falschem Namen das Drehbuch zum Nazi-Hit „Münchhausen“ mit Hans Albers. Hans Fallada „versteckte“ sich in einem Dorf in Mecklenburg, und der mit einer Jüdin verheirate Jochen Klepper wählte den Freitod.
Dominik Graf erspart uns leider nicht ein dunkles Kapitel der deutschen Geschichte: das Leben des Nazi-Dichters Will Vesper. Der Autor überlebte den Zweiten Weltkrieg und zog auf einen Bauernhof bei Gifhorn. Dort wuchs sein Sohn Bernward heran, der sich (viel zu spät) von seinem Vater lossagte. Über diese leidvolle Beziehung hatte er den genialen Romanessay „Die Reise“ geschrieben, die erst nach seinem Suizid-Tod (1971 im UKE) erschien und später verfilmt wurde – mit Will Quadflieg als Will Vesper. Bernward Vesper hatte mit seiner damaligen Freundin einen gemeinsamen Sohn, um den sich beide nicht kümmern konnten (oder wollten). Ihr Name: Gudrun Ensslin! Der Rest ist Geschichte!
Dominik Graf befragt viele Zeitzeugen, unter anderem den Filmproduzenten Günter Rohrbach. Doch anders als im brillanten Koepp-Film erschließt sich uns hier nicht der rote Faden. Vieles bleibt leider beliebig und strukturell unbefriedigend. Offen gesagt: Graf verzettelt sich! Schade!
Jeder schreibt für sich allein (Deutschland 2023)
169 Minuten
Dokumentation
Dominik Graf
Anatol Regnier, Dominik Graf, Constantin Lieb
Anatol Regnier, Gabriele von Arnim, Florian Illies, Günter Rohrbach, Albert von Schirnding, Christoph Stölzl, Heinrike Stolze, Julia Voss, Géraldine Mercier, Ursula Käß, Helmuth Mojem, Willy Kristen, Wendelin Neubert, Carlo Paulus, Simon Strauß, Clemens von Lucius, Lena Winter
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