Interview mit Matthew Warchus und Stephen Beresford zu PRIDE

Zur Eröffnung des Filmfests Hamburg waren der Regisseur Matthew Warchus (2.v.r.) und der Drehbuchautor Stephen Beresford (3.v.l.) in Hamburg. Wir haben mit den beiden über ihren Film PRIDE gesprochen, aber auch über anderen Themen. 

» Lesen Sie hier unsere Kritik zu PRIDE

 

Pride 08Zuerst einmal vielen Dank für diesen wundervollen Film. Ich hatte vorab die Befürchtung, dass es sich um eine Moralpredigt handeln könnte, aber das war unbegründet. Es ist Ihnen tatsächlich gelungen, historische Fakten mit einem zu Herzen gehenden Drama zu verbinden.

Matthew Warchus: Vielen Dank!

Wer von Ihnen hatte die ursprüngliche Idee, diesen Film zu machen?

Stephen Beresford: Das war ich. Vor etwa zwanzig Jahren hatte ich eine Diskussion darüber, ob schwule und lesbische Menschen überhaupt politisch aktiv sind und dabei habe ich von der Geschichte dieser Gruppierung LGSM erfahren und von ihrer Verbindung zu der Gemeinde. Diese Diskussion fand statt während eines kleinen Aufstandes der Minenarbeiter in der Mitte der 1990er Jahre. Ich sagte „Warum sollte ich diese Minenarbeiter unterstützen, sie unterstützen mich ja auch nicht“ und mein Gegenüber sagte „Okay, Lass mich Dir eine Geschichte erzählen…“

Als ich zuhörte dachte ich bereits, dass sich das viel zu gut anhört, um wahr zu sein. Das wahr eine unglaubliche Geschichte und es war um so unglaublicher, dass sie niemand kannte. Über viele, viele Jahre erzählte ich Menschen immer wieder diese Geschichte und sagte „Ich habe da diese Idee für einen Film…“ Aber für eine sehr lange Zeit hat mich niemand so ernst genommen, um an Bord zu kommen. Letztendlich kam unser Produzent David Livingston zu mir und sagte, dass er sich des Scriptes angenommen habe und zusammen mit Cameron McCracken wurde es langsam Realität. Von Matthew Warchus kam dann das finale „Ja“ dazu.

Zu welchem Zeitpunkt kamen Sie an Bord?

Matthew Warchus: Man hat mir das fertige Script zugesandt, das mir sehr gefallen hat. Das war ein paar Jahre, nachdem sie damit angefangen hatten und das muss vor etwa zwei Jahren gewesen sein.

Was hat Sie besonders an dem Script gereizt, um den Film unbedingt drehen zu wollen?

Matthew Warchus: Als ich anfangs hörte, worum es gehen sollte, hatte ich die Befürchtung, es könnte zu sehr zu einer Moralpredigt werden oder zu arrangiert sein. Nachdem ich jedoch die ersten Seiten gelesen hatte, erkannte ich, dass es sehr erfrischend und bewegend war, sich ehrlich anfühlte, dabei aber auch lustig und so lebensbejahend war. Es fühlte sich eben nicht so an, als sei die Geschichte extra als ein Film konzipiert worden, der möglichst vielen Menschen gefallen soll, sondern wie eine wunderbare Mixtur aus all dem, was das Leben beinhaltet. Die Tatsache, dass das Ganze auch noch auf einer wahren Begebenheit basiert, war umso schöner. Für mich als Regisseur war aber vor allem die Art des Schreibens überwältigend.

Persönlich fühle ich mich immer zu Geschichten von Außenseitern hingezogen, in denen es um Toleranz, Vorurteile, Drangsalierung, Ungerechtigkeit und im Prinzip um die Geschichte von David gegen Goliath geht. Ich mag, dass es sich um eine amateurhafte Gruppe handelt, die sich einer übergroßen Macht von Vorurteilen stellt. Das hat mich sehr bewegt und ich habe viele Aspekte davon im Script erkannt. Selbst als heterosexueller Mann war ich mit Vorurteilen konfontiert, als ich in einem kleinen Dorf im Nirgendwo aufgewachsen bin – und das nur, weil ich mich für Musik und Theater interessiert habe. Trotzdem liebe ich das Dorf, in dem ich aufgewachsen bin noch immer und ich fand, dass diese ländliche Gemeinschaft mit all ihren Vor- und Nachteilen im Script so wunderbar eingefangen wurde, dass ich sie wiedererkannt habe.

Um ehrlich zu sein, ich habe vor dem Film noch nie etwas über den Streik der Minenarbeiter gehört. Das könnte daran liegen, dass ich zu dem Zeitpunkt erst elf Jahre alt war, aber selbst später ist mir davon nichts zu Ohren gekommen. Ist das in Großbritannien genau so? Kennen gerade die jungen Menschen dort diesen Teil ihrer Geschichte?

Matthew Warchus: Wahrscheinlich nicht. Als wir in dem Dorf ankamen, um zu sehen, wo das alles stattgefunden hat, war nichts mehr von den Kohleminen zu sehen. Sie waren allesamt verschwunden. Die Kinder und Jugendliche, die vor Ort waren, wussten auch nichts vom Streik der Minenarbeiter, als wir mit ihnen gesprochen haben. Wenn ich den Film zusammen mit jungen Menschen schaue, bin ich meist sehr bewegt, denn sie haben keine Nostalgie für diese Zeit und auch keinen Grund, sich für diesen Teil der Geschichte zu interessieren. Trotzdem bauen sie durch den Film eine gewisse Verbindung auf. Auch Menschen in der ganzen Welt, die überhaupt keinen Grund haben, diese Geschichte zu kennen, können etwas mit dem Idealismus der involvierten Figuren anfangen. So ist der Film in jedem Fall so etwas wie eine kleine Geschichtsstunde.

Regisseur Mattew Warchus,  Hauptdarsteller Andrew Scott und Drehbuchautor Stephen Beresford (v.l.) bei der Premiere von PRIDE im Cinemaxx am Dammtor
Regisseur Mattew Warchus, Hauptdarsteller Andrew Scott und Drehbuchautor Stephen Beresford (v.l.) bei der Premiere von PRIDE im Cinemaxx am Dammtor

Sie haben die dunkleren Kapitel ein wenig ausgelassen, wie z.B. Aids oder das Zusammenschlagen von Gethin. Sie sprechen es an, aber sie zeigen es nicht direkt. Was war der Grund dafür?

Stephen Beresford: Nun ja, Aids kann man nicht wirklich zeigen, aber die Krankeit ist sehr wohl im Film zu finden. Die wirkt allerdings viel bedrohlicher, wenn man nicht darüber spricht. Warum ich Gethins Prügelattacke nicht gezeigt habem weiss ich eigentlich gar nicht so recht. Vielleicht wirkt es noch bedrohlicher, wenn man wegschaut, als wenn man es explizit zeigt. Das ist mein Gefühl, aber ich bin mir nicht vollkommen sicher.

Matthew Warchus: Es stand wirklich niemals im Script. Es gab eine Szene, in der ein Mensch in einem Film im Fernsehen zusammengeschlagen wurde, zu dem wir gegen Ende des Filmes schwenken wollten. Aber da wir kein entsprechendes Filmmaterial gefunden haben, haben wir die Szene verworfen. Wenn ich darüber nachdenke, dann wäre es doch nur um zwei Schauspieler gegangen, von denen der eine so tut, als ob er auf den anderen einschlagen würde, zusammen mit etwas Blut und einer ruckartigen Kamerabewegung. Ich fand den Moment viel eindrucksvoller, als er versucht, die rote Farbe des Schriftzugs „Queers“ von den Fenstern zu kratzen. Das ist so ein schockierendes Bild – vor allem als zudem noch der Passant vorbeigeht und ihn bespuckt. All diese Dinge sind ziemlich gewalttätige Einschüchterungen. Jemanden zu sehen, wie er einen anderen zusammenschlägt, ist vielleicht im ersten Moment offensichtlicher, aber nicht zwingend kraftvoller.

Ganz nebenbei: Keine der Produzenten oder sonst irgendwer hat irgendetwas am Script kontrolliert oder Änderungen erzwungen. Alles kam ausschließlich von Stephen und mir.

Die Geschichte basiert ja auf einer wahren Begebenheit. Mussten Sie trotzdem daran etwas verändern?

Stephen Beresford: Ich musste in der Tat einige Dinge anpassen, zum Beispiel die Anzahl der Charaktere. In der echten Gruppe gab es sehr viel mehr, insgesamt etwa 40, aber ich denke wir haben so viel einzelne Geschichten erzählt, wie es uns möglich war. So haben wir etwa jeweils zwei oder drei Personen zu einer Figur zusammengeführt. Um den Film eine Form geben zu können, musste ich einige Geschichten ein wenig dramatisieren und die Handlungsorte verlegen. Das Meeting, bei dem die Minenarbeiter entscheiden, ob sie die Hilfe der Gruppe annehmen wollen, hat in Wahrheit stattgefunden bevor sie dort angekommen sind, während es im Film direkt danach stattfindet. Das habe ich natürlich gemacht, damit es dramatischer wirkt. Doch die meisten Dinge, darunter auch die homophobischen Sprüche, die die Menschen sagen, haben auch so stattgefunden. Größenteils sind die Geschehnisse also real.

War es schwierig, gerade in London Orte zu finden, die noch so aussehen wie in den 1980er Jahren? Oder wie ist es ihnen gelungen, diesen Look zu schaffen?

Matthew Warchus: Das war eigentlich gar nicht so schwer. In der Straße, in der sich der echte Buchladen befindet – den es übrigens heute noch gibt – konnten wir leider nicht drehen, weil sich dort seit den 80er Jahren zu viel verändert hat. Also mussten wir diesen Ort in einem anderen Teil von London nachbilden, in dem es ruhiger und weniger modern war. Für den „Pits & Perverts Ball“ hatten wir eine Location im Auge, die sich so gut wie gar nicht verändert hat, die aber leider zum Zeitpunkt des Drehs nicht verfügbar war. Also mussten wir umdisponieren und haben dann im Electric Ballroom gedreht. In den Außenaufnahmen von White Hall, Westminster Brigde und den Houses of Parliament mussten wir digital ein paar Häuser entfernen, aber im Grunde war unser Produktionsdesigner Simon Bowles sehr gut darin, entsprechende Locations zu finden. In der Straße in dem Dorf in Wales mussten wir lediglich ein paar Satellitenschüsseln entfernen.

Warum hat es beinahe fünfzehn Jahre gedauert, bis Sie Ihren zweiten Film gedreht haben?

Matthew Warchus: Ich weiß nicht, wie das passieren konnte. Ich war einfach sehr damit beschäftigt, am Theater zu arbeiten. Ich fühle mich immer zu den Geschichten hingezogen, die mich meisten interessieren. Das waren zum Großteil Theaterstücke und wenn es sich doch mal um einen Film handelte, konnte er entweder nicht finanziert werden oder ich hatte keine Zeit. So vergingen erst fünf dann zehn und schließlich fünfzehn Jahre. Aber bei allen Projekten, darunter auch mein erster Film, hat mir keines so viel bedeutet, wie dieser Film. Der Schlüssel liegt sicherlich darin, genau die Projekte zu finden, die Dir den Antrieb geben, weil Du sie wichtig nimmst. Das ist bei PRIDE der Fall.

Regisseur Matthew Warchus und Hauptdarsteller Andrew Scott
Regisseur Matthew Warchus und Hauptdarsteller Andrew Scott

Sie übernehmen demnächst die künstlerische Leitung des Old Vic Theatre in London. Hat das zur Folge, dass wir wieder fünfzehn Jahre auf den nächsten Film warten müssen? Oder werden Sie mit uns Mitleid haben?

Matthew Warchus: (lacht) Wer weiß das schon? Ich denke aber nicht. Ich mochte die Dreharbeiten zu meinem ersten Film und bei diesem Film habe ich es sehr geliebt. Ich glaube, durch Stephens Script und die Natur dieser Geschichte dürfte die Messlatte sehr hoch legen, wenn es darum geht, das nächste Thema zu finden. Daher bin ich sehr froh, dass ich in der Zwischenzeit einen anderen Job haben werde.

Was werden denn Ihre nächsten Projekte sein?

Stephen Beresford: Ich arbeite gerade an einigen Bühnenstücken, u.a. für das National Theater und das Donmar Warehouse in London und habe zudem gerade anfangen, mich für einen neuen Film von Pathé umzusehen, der auch auf einer wahren Begebenheit basiert. Da alle Beteiligten daran aber bereits verstorben sind, dürfte das eine Art Erleichterung für mich werden. (lacht)

Matthew Warchus: Mein nächster Job wird die Regie diverser Stücke am Old Vic in London sein.

Was war Ihre erste Reaktion, als sie hörten, dass PRIDE das Filmfest Hamburg eröffnen würde?

Matthew Warchus: Ich fühlte mich sehr geehrt. Als wir davon hörten, war das eine wunderbare Nachricht. Als wir angefangen haben, den Film in die Kinos zu bringen, hattem wir keine Ahnung, was er den Menschen in anderen Ländern bedeuten würde, da es sich ja um eine sehr regionale Geschichte handelt. Der Film strengt sich ja überhaupt nicht an, in irgendeiner Art und Weise international zu sein. Manchmal ist es aber so, dass ein Film um so universeller ist, je spezifischer er ist. Wir wussten aber nicht, ob das hier der Fall sein würde. Das Angebot aus Hamburg kam direkt in Cannes, als wir den Film selbst zum ersten Mal vor einem internationalen Publikum gezeigt haben. Das war ein sehr bewegender und erhebender Moment, als die Menschen danach applaudiert haben. Gestern Abend haben wir den Film hier in Hamburg gezeigt, und das auf dieser wundervollen, riesigen, phänomenalen Leinwand und diesem unfassbaren Sound vor mehr als 1.000 Zuschauern. Das war eine wirkliche Ehre für uns.

Schauen Sie sich noch andere Filme auf dem Filmfest Hamburg an?

Matthew Warchus: Das ist ja das Absurde an diesen Festivals. In Cannes waren wir am allerletzten Tag, an dem kaum noch irgendwer vor Ort war, in Toronto waren wir am ersten Tag und hier in Hamburg sind wir wieder am ersten Tag da. Wir kommen an, zeigen unseren Film, kümmern uns um die Pressearbeit und gehen wieder. All die anderen tollen Filmemacher und ihre großartigen Werke bekommen wir nicht zu Gesicht. Das ist wirklich schade.

Stephen Beresford: Wenn Du professionell an Filmen interessiert bist, ist der Besuch eines Festivals eigentlich das Schlechteste, was Du tun kannst, weil Du nur damit beschäftigt bist, Dich um Deinen Film zu kümmern. Als Zuschauer hat man hier natürlich eine tolle Zeit, aber wenn Du einen eigenen Film gemacht hast, bekommst Du meist nichts anderes zu sehen.

Hatten Sie denn vielleicht die Gelegenheit, Hamburg ein wenig zu erkunden?

Matthew Warchus: Diese Mal leider nicht, aber ich war bereits ingesamt vier Mal in dieser Stadt Allerdings war das immer nur für einen Tag auf der Suche nach Theatern für einer Theaterproduktion. Ich bekomme dann immer nur winzige Eindrücke der Straßen hier und denke jedesmal, dass ich noch einmal wiederkommen muss. Wenn ich einmal ein Sabbatjahr einlege und nichts mit Film oder Theater zu tun habe, kann ich noch einmal wiederkommen und mehr über Hamburg herausfinden.

Jon S. Baird hat Teile seines Filmes DRECKSAU und Anton Corbijn sogar seinen gesamten Film A MOST WANTED MAN hier in Hamburg gedreht. Würde das auch für Sie in Frage kommen? Anton Corbijn sagte dazu, dass niemand Hamburg im Film kennt und die Kulisse somit für jeden – abgesehen von denen, die hier leben – neu ist.

Matthew Warchus: …und es ist zudem ebenso eine alte Stadt. In der Zeit von jetzt bis zu unserem Check-In später am Flughafen wird Stephen eine Geschichte schreiben…

Stephen Beresford: …die in Hamburg spielt und ich werde sie abliefern. (beide lachen) Im Flugzeug werden wir dann proben und zum Filmfest im kommenden Jahr werden wir ihn hier zeigen. Das ist ein Versprechen!

Okay, darauf werde ich zurückkommen. Vielen Dank für das Interview.

 

Das Interview haben wir am 27.09.2014 in Hamburg geführt.

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