Jaco van Dormael ist ein belgischer Regisseur und Drehbuchautor, geboren am 9. Februar 1957 im belgischen Ixelles. An seinem bislang besten Film Mr. NOBODY mit Jared Leto in der Hauptrolle hat er knapp 10 Jahre gearbeitet, nur um ihn an den Kinokassen untergehen zu sehen. Im Nachhinein wurde der Film jedoch bekannt und so hielt sich sein Frust zum Glück in Grenzen. Jetzt kehrt Jaco van Dormael mit einem weiteren Meisterwerk in die Kinos zurück. DAS BRANDNEUE TESTAMENT hat in diesem Jahr das Filmfest Hamburg eröffnet und wurde dort stürmisch gefeiert. Wir haben uns dazu mit dem Regisseur in Hamburg getroffen und mir ihm über den Film gesprochen:
Sie haben also einen Film über Gott gemacht. Wie ist es um Ihren eigenen religiösen Background bestimmt?
Ich glaube nicht an Gott, aber ich habe eine katholische Erziehung genossen. Für mich ist die Bibel nur ein großes, gut geschriebenes Buch mit interessanten Charakteren und einem bösen Ende. Ich vermute, ich hätte diesen Film nicht drehen können, wenn ich an Gott glauben würde. Mein Freund und Co-Autor Thomas Gunzig ist zudem jüdischen Glaubens, daher besaß er ein ganz anderes Wissen als ich. Aber der Film ist in gewisser Hinsicht schon ein Märchen in dem es eher um Offenbarungen geht. Die erste Offenbarung ist, dass Gott in Brüssel lebt und die zweite ist, dass er eine Frau und eine Tochter hat. Niemand hat bislang über seine Frau gesprochen, alle reden nur von Gott. Niemand hat je seine Tochter erwähnt, immer nur seinen Sohn. Nur warum das? Sie ist sehr aktiv, eine kleine Rebellin. Die dritte Offenbarung sind die Todesdaten. Was würden wir tun, wenn wir wüssten, wie fragil das Leben ist…
Seit ihrem letzten Film sind vier Jahre vergangen. Was haben Sie neben diesem Film außerdem noch in der Zeit gemacht?
Ich habe ein Theaterstück gemacht mit dem Titel KISS & CRY, das wir 250 Mal aufgeführt haben, im letzten Monat sogar in Stuttgart. Das hat sehr viel Spaß gemacht.
In beinahe allen Ihren Filmen erzählen Sie eine Geschichte aus der Perspektive eines Außenseiters. Glauben Sie, dass Gott ebenfalls ein Außenseiter ist?
Ich glaube, dass die Art, Geschichten zu erzählen, nach der ich suche, aus dem Innern der Figuren heraus entsteht – wenn man nicht genau weiß, was real ist und was nicht. Es geht nicht um die Beschreibung der Realität, aber auch nicht um die Fantasie, sondern um die Wahrnehmung der Realität, ohne zu wissen, was nun real ist und was nicht. Es geht mehr darum, wie wir denken und wie wir von einer Zeit zur anderen oder von einem Ort zum anderen springen, so wie wir es in unseren Gedanken tun. Daher denke ich, dass es ein Film aus dem Innern ist.
Sie erwähnten in einem Interview, dass Sie zehn Jahre an MR. NOBODY gearbeitet haben. Für diesen Film haben Sie nicht so lange gebraucht. War er einfacher zu realisieren?
Es ging schneller, weil ich wollte, dass es schneller geht. Außerdem haben wir zu zweit an der Geschichte geschrieben, was das Ganze beschleunigt hat. Ich wollte nicht darauf warten, bis wir das Geld zusammen haben, daher habe ich es „billig“ gedreht.
Es sieht aber überhaupt nicht danach aus!
Nein, aber es war ein sehr günstiger Film und wir haben einfach gesagt „Okay, lass es uns machen“.
Wie sind Sie auf die Geschichte gekommen? Gab es in Ihrem Leben ein Ereignis, bei dem Sie dachten, dass Gott irgendwie ein zynischer Zeitgenosse ist?
Wir waren ja zwei Drehbuchautoren und die Ideen kamen einfach, wenn wir zusammen saßen. Es ist bei mir nicht so, dass ich morgens mit einer Idee aufwache. Wir haben eine Woche lang im Garten gesessen und versucht, uns gegenseitig zum Lachen zu bringen. Nach einer Weile wurde dann daraus eine Komödie.
Klingelt Ihr Telefon denn auch, wenn Sie sich in die Badewanne legen?
Nein natürlich nicht, denn ich nehme es niemals mit ins Bad!
Foto: Filmfest Hamburg / Martin Kunze
Wie haben Sie Catherine Deneuve überzeugt, in Ihrem Film mitzuspielen und wie hat sie reagiert, als sie erfahren hat, dass sie sich das Bett mit einem Affen teilen soll?
Die meisten der Schauspieler sind Freunde von mir, daher habe ich sie einfach angerufen und gefragt, ob sie in meinem neuesten Film dabei sein wollen. Bei Catherine musste ich den offiziellen Weg gehen, da ich sie nicht persönlich kannte. Ihr Agent bekam das Script und gab es ihr, woraufhin sie ja sagte und dann ans Set kam. Ich glaube sie liebt es, Dinge zu tun, die unerwartet sind und sie hat einen wunderbaren Sinn für Humor. In dem Moment, in dem ich an sie gedacht habe, gab es in Paris gerade Proteste für eine gleichgeschlechtliche Ehe. Sie ist dort ja so etwas wie eine Ikone, eben DIE Catherine Deneuve und sie hat öffentlich im Fernsehen gesagt, dass es niemanden etwas angeht, wer wen liebt und dass es keine gute oder schlechte Art gibt, jemanden zu lieben. Ich war beeindruckt, wie tapfer sie ist und dachte nur, dass sie neben einem Gorilla fantastisch aussehen würde. Und das tat sie dann ja auch.
Das Arbeitszimmer Gottes sieht im Film ziemlich imposant aus mit all diesen Schubladen. Wie haben Sie das realisiert? Mit CGI oder war das tatsächlich real?
Mit Plastik! Ein paar von ihnen waren echt, aber der Rest bestand aus Plastik und Farbe. Aber so gesehen war das alles real und kein Spezialeffekt.
Die Frauen snd in Ihrem Film ganz klar das stärkere Geschlecht. Éa, die gegen ihren Vater revoltiert und ihre Mutter, die zum Ende hin eine wichtige Rolle spielt. Wollen Sie damit vielleicht kritisieren, dass Frauen in heutigen Filmen oftmals eher in der zweiten Reihe spielen?
Nicht heute! Es ging mehr um die Bibel, wo sie gerade mal in zwei Sätzen auftauchen. Ich wollte, dass sie hier einen ebenbürtigen Part haben. Die meisten Religionen sind sehr patriarchalisch und überwiegend von Männern verfasst. Unsere Idee war es daher, eine Art Fake-Religion zu schaffen, in der ein Mädchen an erster Stelle steht.
Wie würden Sie überhaupt reagieren, wenn Sie erfahren würden, wann Sie sterben werden?
Ich versuche dieses Gefühl in der Tat zu vermeiden. Ich würde aber wohl trotzdem so weiterleben wie die meisten Figuren im Film – so als ob ich unsterblich wäre.
Im Film findet jede Figur die Liebe, mal mehr und mal weniger. Glauben Sie, dass die Liebe die Antwort auf all die Probleme und Krisen sein könnte, die wir aktuell haben?
Vielleicht nicht die Antwort, aber es ist die interessanteste Art, lebendig zu sein. Verliebt zu sein, ist das Beste überhaupt, wie ich finde. Auch wenn wir für die seltsame Erfahrung, am Leben zu sein auf einem Planeten der sich um die Sonne dreht, keine Erklärung haben, macht es verdammt viel Spaß, verliebt zu sein.
Foto: Filmfest Hamburg / Michael Kottmeier
War es eine bewusste Entscheidung, dass es die kleine Éa ist, die die Revolution verkündet? Sie hätten ja auch ihre Mutter in diese Rolle versetzen können.
Das hätte ich in der Tat. Aber das Schöne ist ja, dass sie ein Teenager ist, denn Teenager sind Rebellen und eine Revolution geht meist immer von den Jüngeren aus.
Wie sind sie denn auf Pili Groyne aufmerksam geworden, die die Éa spielt?
Sie wohnt in der Nähe von mir und ich habe sie im Alter von sieben Jahren Klavier spielen gesehen. Das war allein schon faszinierend. Danach hat sie kleine Rollen in zwei Filme gespielt und in dem Moment, wo ich sie gesehen habe, war mir klar, dass sie die Idealbesetzung ist.
Sie erwecken sehr oft die Gedanken der Figuren zum Leben, indem Sie sie visualisieren. Das verleiht dem Film etwas Magisches und ganz Wunderbares. Gibt es dafür einen Grund?
Das Kino beschreibt am besten, wie wir denken. Ich mag im Kino, dass es genauso frei ist wie ein Roman und man von einem Punkt zum anderen springen kann, ohne groß darüber nachzudenken.
Nach VERSTEHEN SIE DIE BELIERS ist Fançois Damiens hier in einer eher düstereren Rolle zu sehen.
Ja, das stimmt, aber ich habe VERSTEHEN SIE DIE BELIERS zu dem Zeitpunkt gar nicht gesehen, weil der Film direkt vor unserem gedreht wurde.
Wie sind Sie auf ihn gestoßen und warum haben Sie ihn genau in dieser Rolle besetzt.
Das war eigentlich sehr einfach, denn ich wollte schlichtweg einen Film mit ihm machen. Wir haben uns über die Jahre immer wieder gesehen und jedes Mal gesagt, dass wir uns bedingt einmal zusammenarbeiten müssen. Das ist fast so ähnlich wie mit Benoît Poelvoorde, den ich eigentlich immer nur nachts getroffen haben. „Wie wäre es, wenn wir mal etwas am Tage zusammen machen würde“, haben wir uns dann gedacht. An François musste ich beim Schreiben der Rolle denken, denn er kann im selben Moment extrem lustig, aber auch unglaublich angsteinflößend sein. Aber er ist ein großartiger Schauspieler und man kann so wunderbar mit ihm arbeiten.
Als sie versucht haben, den visuellen Stil des Filmes zu finden, hatten sie dabei andere Filme im Hinterkopf zur Inspiration?
Ja schon, aber eigentlich waren das eher religiöse Bilder. Wir haben versucht, alles frontal aufzunehmen und es symmetrisch zu halten, so wie in der Kirche. Wenn es also eine Waschmaschine, eine Tür oder eine Garage zu sehen gibt, dann ist es immer frontal und symmetrisch. Das gibt dem Ganzen etwas märchenhaftes, aber gleichzeitig auch etwas religiöses, selbst wenn kein Kruzifix zu sehen ist. In der Metro in Brüssel steht sie zum Beispiel genau in der Mitte, während das Licht sowohl von rechts, als auch von links kommt. Alles ist genau so, wie in einer Kirche, nur eben an natürlichen Schauplätzen.
Foto: Filmfest Hamburg / Michael Kottmeier
Der Stil ist in der Tat sehr beeindruckend. Ich mochte auch MR. NOBODY sehr und bin damals eigentlich nur durch Zufall auf den Film aufmerksam geworden, als er hier in den Kinos angelaufen ist.
Ah, Sie waren also einer der 200 Zuschauer, die ihn gesehen haben. (lacht)
Ich war extrem beeindruckt vom Stil und der Geschichte und der gesamten Umsetzung. Der Film ist nach wie vor einer meiner absoluten Lieblingsfilme.
Oh, meiner auch! (lacht)
Kommen wir zur letzten Frage: Ich habe gerade erst Ridley Scott zum Interview über seinen Film DER MARSIANER getroffen und er hat dabei etwas gesagt, was mich durchaus beeindruckt hat. Er sagte, dass er, um seine Vision eines Filmes umsetzen zu können, alles selbst machen müsse – vom Casting, der Location-Suche, der Regie, dem Schnitt usw. Ansonsten wäre es nicht „sein“ Film. Teilen Sie dieses Gefühl mit ihm?
Ja, schon. Ich habe einen Freund, der ebenfalls Regisseur ist und eines Tages besuchte ihn seine Mutter am Set, um zu sehen, was ihr Sohn dort so macht. Am Ende des Tages sagte sie Ihm „Du bist hier offenbar derjenige, der am wenigsten macht und dabei die ganze Zeit die Arbeit anderer kritisiert.“ (lacht) Es ist in der Tat ein wenig so, denn Du machst alles, aber gleichzeitig machst Du eigentlich gar nichts. Du suchst die Location zusammen mit irgendwem, du spielst nicht selbst, sondern spielst mit den Schauspielern, Du sitzt im Schneideraum, aber Du schneidest nicht selbst, Du sprichst mit den Musikern, aber Du spielst nicht selbst. Du machst nicht alles selbst, sondern Du beaufsichtigst es. Du spielst Ping-Pong mit dem Drehbuchautoren, Du spielst Ping-Pong mit den Schauspielern, Du versuchst, dass die Kamera mit den Darstellern tanzt und das das Licht mit dem Sound tanzt und der Schnitt mit der Geschichte. Jeder tanzt also irgendwie und Du choreographierst das Ganze. Aber in der Tat tue ich eigentlich gar nichts – außer die Leute zu kritisieren. (lacht)
Vielen Dank für das Interview.
Wir haben das Interview am 02. Oktober 2015 im Rahmen des Filmfest Hamburg geführt.