„Ich möchte als Regisseur den Raum haben, etwas möglichst Persönliches zu machen, das aber öffentlich genug ist, um gesehen zu werden.“
Am 10. März startet der wunderbare Film BIRNENKUCHEN MIT LAVENDEL in unseren Kinos. Wir haben uns mit dem Regisseur Èric Besnard in Berlin getroffen und mit ihm über den Film gesprochen.
Über Éric Besnard
Nach einem Studium der Politikwissenschaften dreht Éric Besnard 1998 seinen ersten Spielfilm LE SOURIRE DU CLOWN. Ab 2003 arbeitet er als Drehbuchautor verschiedener Genres und für Regisseure wie Nicolas Boukhrief (CASH TRUCK – DER TOD FÄHRT MIT), Mathieu Kassovitz (BABYLON A.D.) und Thomas Vincent (THE PROTOCOL). 2008 führt er Regie bei der Kriminalkomödie CA$H – ABGERECHNET WIRD ZUM SCHLUSS mit Jean Dujardin, im folgenden Jahr dreht er den Abenteuerfilm 600 KILO PURES GOLD. 2012 macht er seinen bisher persönlichsten Film, MES HEROS, mit Josiane Balasko und Gérard Jugnot. Éric Besnard lebt und arbeitet in Paris.
Ihre Frau ist Psychologin. War sie der Grund, warum sie auf die Idee einer romantischen Komödie mit einer Figur gekommen sind, die an Asperger leidet. Oder basiert die Geschichte auf einer echten Person?
Weder noch. Ich wollte eine Geschichte schreiben, die sensibel ist und die man fühlen kann. Das war die grundlegende Idee. Darin sollte es ganz einfach um einen Mann und eine Frau gehen – nicht mehr, abgesehen davon, dass der Mann sehr zerbrechlich ist. Mit einer solchen Figur ist es dann möglich, die Zeit zu dehnen, die Zeit zu betrachten und sensibel auf die Wunder der Welt zu reagieren. An dieser Idee wollte ich arbeiten. Es hätte auch Buster Keaton oder eine andere Figur dieser Art sein können, aber da meine Frau mit autistischen Kindern arbeitet, habe ich angefangen, darüber zu lesen. Dabei stiess ich auf das Asperger Syndrom und langsam formte sich die Vorstellung, eine solche Figur zu verwenden. So bin ich darauf gestoßen.
Im Gegensatz zu fast allen anderen Filmen entwickelt sich ihre Hauptfigur überhaupt nicht. Stattdessen entwickelt sich das Publikum gewissermaßen darin, wie sie solche Menschen wahrnimmt. War das eine bewusste Entscheidung?
Ja, das war es definitiv. Ich bin es ein wenig leid, dass erfahrene Drehbuchautoren immer wieder behaupten, dass sich eine Figur weiterentwickeln muss. Ich glaube nicht, dass wir uns im wahren Leben so sehr verändern. Ich habe versucht, jemanden zu ändern, aber das ist wirklich schwierig. Daher fand ich für mich als Drehbuchautor die Vorstellung einer Figur, die sich überhaupt nicht weiterentwickelt, sehr amüsant. Aber ganz offensichtlich ist es nicht er, der sich verändert, sondern unser Blick auf ihn, verursacht durch sie. Sie verändert sich, aber wir verändern eben auch unsere Sicht auf ihn.
Wie haben Sie sich auf das Schreiben des Drehbuchs vorbereitet? Haben Sie sich mit Menschen getroffen, die am Asperger Syndrom leiden?
Ich bin auf einige getroffen, aber ich habe in erster Linie mit Psychoanalytikern zusammengearbeitet, die auf dem Gebiet Experten sind. Wenn ich an solchen Stoffen arbeite, stelle ich anfangs eine Menge Nachforschungen an und treffe mich mit Menschen. Dann schreibe ich das Drehbuch und zeige es zwei oder drei Personen, um zu sicherzustellen, dass es keine Fehler darin gibt. Dann beginnt die Zeit der Fiktion und ich arbeite mit niemandem zusammen. Ich drehe den Film und erst danach zeige ich ihn drei oder vier Personen. Diesen Film habe ich ein paar Asperger-Autisten, sowie einigen Psychoanalytikern gezeigt. Die hatten damit aber keinerlei Probleme. Dazwischen benötige ich aber diese Zeit der Fiktion, ansonsten würde es keinen Film geben.
Hat sich ihre eigene Meinung bezüglich Autismus geändert, während Sie das Drehbuch geschrieben haben?
Nicht wirklich. Wie ich bereits sagte, ist das eigentlich kein Film über Autismus, da es auch irgendeine andere Figur hätte sein können. Was jedoch interessant ist, ist sein Sinn für und sein Blick auf die Wunder der Natur. Die Tatsache, dass ich einige Psychologen und Psychoanalytiker getroffen habe und diese meinten, dass die Geschichte in ihren Augen mit Menschen mit Asperger Syndrom funktionieren würde, brachte mich auf diese Idee. Als ich den Film dann Menschen mit dieser Krankheit gezeigt habe und mit ihnen darüber gesprochen habe, wusste ich endgültig, dass es funktionieren würde.
Es gibt nicht allzu viele Filme zu diesem Thema. Ich kann mich aktuell nur an ADAM von Max Meyer erinnern. Haben Sie sich andere Filme zu diesem Thema angesehen um herauszufinden, wie andere Regisseure das Thema angegangen sind?
Nein, denn ich wollte sie gar nicht sehen. Als ich in Frankreich mit dieser Idee ankam, erzählten mir alle von RAINMAN. Das Problem ist, dass jeder seine eigene Idee dazu im Kopf hat. Ich habe das dann damit beantwortet, dass die Figur darin definitiv kein Asperger hatte. Sie ist vielleicht autistisch und zurückgeblieben, aber das ist nicht der Weg, den ich einschlagen wollte. Außerdem ist meine Geschichte eine gefühlvolle und sensible Liebesgeschichte, darum geht es in RAINMAN überhaupt nicht. Zudem ist das ein 30 Jahre alter Blick auf den Autismus. Seitdem haben wir eine ganze Menge Dinge verstanden und erforscht. Das war ein guter Grund, an diesem Thema zu arbeiten. Als mein Hauptdarsteller RAINMAN gesehen hatte, wurde das zu einem Problem. Ich musste ihm zeigen, dass es unterschiedlichen Weisen gibt, sich einer solchen Figur anzunähern.
In Ihren Film spielt die Natur eine ganz entscheidende Rolle.
Ja, genau. Die Idee war, dass Louise so ist, wie wir alle sind. Sie hat Probleme mit ihrer Familie, die Kinder haben mit dem Verlust des Vaters zu kämpfen, sie werden älter und wollen mehr und mehr Freiheiten, sie hat Probleme mit der Bank und damit, ihre Birnen zu verkaufen. Sie hat all diese Probleme, die wir auch irgendwie haben und sie rennt immer gegen die Zeit. Auf der anderen Seite gibt es diesen Mann, der empfindsam auf die Sonne, die Wolken oder das Wasser reagiert. All diese Dinge, die wir als Kinder ebenfalls viel intensiver wahrgenommen haben, es heute aber nicht mehr tun. Dafür gibt es eigentlich keinerlei Gründe. Ich habe den Film in der Provence gedreht, ich hätte ihn aber auch irgendwo anders filmen können, denn es ist kein Film über die Provence. Ich wollte, dass er ihr Leben wieder zum Prickeln bringt und sie es wieder mehr zu schätzen weiss. Sie verkauft die Birnen und besitzt all diese Bäume, aber zu Beginn des Films ist sie nicht mit ihnen und der Natur an sich verbunden. Er ist es letztendlich, der sie wieder mit ihrem eigenen Leben verbindet.
Als Sie die Geschichte geschrieben haben, hatten Sie zu diesem Zeitpunkt bereits die Schauspieler vor ihrem geistigen Auge? Oder wie haben Sie sie gefunden?
Virginie Efira habe ich ausgewählt, weil ich eine Schauspielerin benötigte, die ausreichend hübsch ist, um einen solchen Film zu drehen, die man aber genauso in Gummistiefeln im Matsch oder auf einem Traktor akzeptieren würde. Es gibt in Frankreich nicht allzu viele Schauspielerinnen, die dieses Gleichgewicht haben. Auf der anderen Seite wollte ich für die Rolle des Pierre jemand Unbekannten. Das war die Idee. Ich kannte ihn vorher nicht. Wenn man nach einem Schauspieler sucht, der mindestens 30 Jahre alt und unbekannt sein soll, dann sucht man in erster Linie an Theatern. Also suchte ich diverse Theater auf, darunter auch die Comédie Française. Ich machte viele Tests mit einer Vielzahl von Schauspielern, aber als ich Benjamin Lavernhe getroffen, war mir klar, dass er es ist.
Der deutsche Titel „Birnenkuchen mit Lavendel“ unterscheidet sich doch sehr vom Originaltitel „Le goût des merveilles“ (Die Lust an der Freude). Waren Sie an der Entwicklung des deutschen Titels beteiligt?
Überhaupt nicht!
Sind Sie denn mit der Wahl glücklich?
Es ist lustig, denn ich verstehe die Idee dahinter. Es ist nicht meine Herangehensweise an den Film, denn das ist offensichtlich die Wahrnehmung der Wunder der Natur. Das ist ja auch der Grund, warum ich diesen Film gemacht habe. Ich habe aber verstanden, was sie mit dem neuen Titel bezwecken wollen. Ich verstehe sogar das Filmplakat, dass sich immens vom französischen Original unterscheidet. Das Plakat ist ein beinahe unrealistisches Gemälde, da die Natur darauf überhaupt nicht zu sehen ist, obwohl sie im Film überall zu sehen ist. Aber genau weil die Natur überall im Film zu sehen ist, muss sie vielleicht gar nicht auf dem Plakat zu sehen sein. Ich verstehe, was sie erreichen wollen mit ihrer Vorstellung eines Duetts. Einer ist der Birnenkuchen und der andere ist der Lavendel. Das ist sehr amüsant und fast schon so wie der Titel einer Komödie, obwohl der Film eigentlich keine wirkliche Komödie ist.
Ich habe vor kurzem mit dem isländischen Regisseur Dagur Karí gesprochen, der gar nicht so gut auf den französischen Titel seine Filmes VIRGIN MOUNTAIN zu sprechen war. Dort heißt sein Film nämlich „ L’histoire du géant timide“ (Die Geschichte des schüchternen Giganten) und er sagte, dass es sich schließlich auch niemand anmaßen würde, den Titel eines Albums der Rolling Stones zu ändern.
Ich kann ihn sehr gut verstehen, denn schließlich möchte man als Regisseur nicht wirklich, dass irgendwer Deine Idee verändert. Aber in diesem speziellen Fall bin ich weder sauer, noch verärgert oder unzufrieden mit dem Titel. Das ist erstaunlich, denn er unterscheidet sich so sehr von dem, was mir ursprünglich vorschwebte. Aber er ist so dermaßen unterschiedlich, dass ich mich einfach nur wundere – mehr als irgendetwas sonst. Aber wie gesagt, ich verstehe ihre Beweggründe!
Sie schreiben sehr viel. Die Liste ihrer Arbeiten bei IMDB ist ziemlich beeindruckend.
Und das ist noch nicht einmal alles.
Wie entscheiden Sie, ob Sie für Dritte schreiben oder lieber selbst Regie führen?
Es wird immer einfacher. Meine ersten Filme waren so etwas wie Exploitation-Filme, B-Movies oder Action-Filme. Ich habe einen Thriller gedreht und ein anderer Film spielt im Dschungel. Mein vierter Film hingegen war ein Film über meine Familie. Bei diesem Film hier, meinem fünften, geht es viel mehr darum, dass für mich bedeutet, ein Regisseur zu sein. Schließlich ist Pierre ein Regisseur, also eine Art Metapher. Je weiter ich mich entwickle, desto persönlicher werden die Filme. Daher wird es einfacher für mich zu erkennen, wenn ich an einem Thriller oder einer Komödie arbeite, dass das nicht mehr für mich ist. Am Anfang war das schwierig, aber inzwischen nicht mehr, denn als Regisseur möchte ich den Raum haben, etwas möglichst Persönliches zu machen, das aber öffentlich genug ist, um gesehen zu werden.
Heute Abend findet hier in Berlin die Premiere des Films statt und anschließend gehen Sie mit dem Film auf Tour in Deutschland. Was erwarten Sie davon?
Absolut gar nichts! Um ehrlich zu sein ist es das erste Mal, dass ich mit einem Film in Deutschland auf Tour gehe. Das ist mein fünfter Film, aber ich habe so etwas hier noch nie gemacht. Meistens geht man lediglich für einen Tag in ein fremdes Land, wie z.B. nach Japan, in die USA oder auf ein Filmfestival. Aber hier mache ich das, was ich in Frankreich normalerweise immer mache. Das ist besonders schön durch die Beziehungen, die sich ergeben. Es geht hier nicht darum, dass die Schauspieler, der Film oder ich selbst bekannt sind, sondern einzig und allein um einen Film und das Publikum. Mir gefällt das sehr.
Französische Filme haben immer etwas Besonderes an sich. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum die Franzosen immer wieder solch wunderschöne Filme erschaffen?
Das weiß ich nicht. Es doch immer dasselbe: Als Franzose nimmt man das selbst gar nicht so wahr. Ich weiß nicht, wie sehr man das hier in Deutschland mitbekommt, aber wir produzieren sehr viele Filme, mehr als 200 pro Jahr. Das ist eine ganze Menge und es gibt immer noch die „Post-Nouvelle-Vague“, wenn wir das so nennen können, also kleine Autorenfilme. Auf der anderen Seite gibt es aber auch richtig große Komödien. Dazwischen seinen Platz zu finden, ist nicht wirklich einfach, aber es ist äußerst aufregend.
Was sind Ihre nächsten Projekte? Gibt es schon irgendetwas, über das Sie sprechen können?
Als Drehbuchautor habe ich vier oder fünf Projekte, die gerade gedreht oder zumindest vorbereitet werden. Als Regisseur habe ich zwei Filme in Arbeit. Einen davon drehe ich im August mit der französischen Schauspielerin Josiane Balasko. Dafür hat sie gerade vor ein paar Tagen zugesagt. Momentan besetze ich den Film gerade. Es geht darin um einen Loyalitätskonflikt. Ein neunjähriger Junge, der zwischen seiner Großmutter und seiner Mutter hin- und hergerissen ist. Beide sind komplett unterschiedliche Frauen und er weiß nicht, für welche er sich entscheiden soll. Der Film heißt „Petite Homme“ und soll zeigen, dass man, um ein Mann zu werden, verstehen muss, dass das Leben komplex ist und nicht nur einer Recht hat. Es ist viel komplizierter, als es eben aussieht. Danach folgt dann der Film „Together“, den ich bereits geschrieben habe. Darin geht es um Mikrokredite in Indien.
Das klingt doch alles unglaublich spannend. Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg für den Film und die Tour.
Das Interview haben wir am 2. März 2016 in Berlin geführt.