Atom Egoyan: „Das Wichtigste an REMEMBER ist das Gesicht von Christopher Plummer“

Im Oktober hat Atom Egoyan das Filmfest Hamburg besucht, um hier seinen Film REMEMBER vorzustellen. Wir haben die Gelegenheit genutzt und den Regisseur zum Interview getroffen. 


Atom Egoyan wurde am 19. Juli 1960 im ägyptischen Kairo geboren, wuchs allerdings im Westen Kanadas auf. Seine armenischen Eltern waren beide Maler. Ursprünglich hatte er den Plan, Dramatiker zu werden, doch nach seinem ersten Kurzfilm begeisterte ihn die Möglichkeit, Geschichten visuell zu erzählen. Zurück in seiner ethnischen Heimat Armenien drehte er 1993 den Film CALENDER. Den wirklichen Durchbruch, sowohl bei Kritikern als auch beim Publikum – brachte im 1994 sein Film EXOTICA. Danach brachte ihm DAS SÜSSE JENSEITS zwei Oscar-Nominierungen und im Jahre 2000 wurde CHLOE zu seinem größten finanziellen Erfolg. 


 

Wie sind Sie auf die Geschichte gekommen?

Ich schreibe eigentlich immer meine eigenen Drehbücher, aber natürlich lese ich auch fremde Drehbücher. Als ich dieses hier las, war ich begeistert von der Originalität und dem Konzept und der Tatsache, dass ich eine solche Figur wie Zev noch nie zuvor gesehen hatte. Die Besetzung von Christopher Plummer war offensichtlich, da ich bereits vorher mit ihm gearbeitet hatte. Auch mit Martin Landau hatte ich bereits das Vergnügen, allerdings war das vor 30 Jahren, als ich eine Episode der Serie „Alfred Hitchcock präsentiert“ gemacht habe. Wir haben uns damals versprochen, irgendwann wieder etwas zusammen zu machen und das hier war jetzt das perfekte Projekt dafür.

Und wie haben Sie das Drehbuch gefunden?

Es kam zu mir. Die Leute senden mir Drehbücher, aber meistens lese ich sie gar nicht. Irgendetwas an diesem hier hat aber meine Aufmerksamkeit erregt und von dem Moment an, als ich es zu lesen begann, konnte ich es nicht mehr aus der Hand legen. Ich hatte das Gefühl, diese Figur zu verstehen, doch dann offenbart sie sich auf diese schockierende Art und Weise. Das war eine ziemlich mächtige Erfahrung.

Remember 01

Im Gegensatz zu ihren bisherigen Filmen benutzen Sie bei REMEMBER eine lineare Erzählweise. Gab es dafür einen bestimmten Grund?

Als ich nach CAPTIVE so viele Reaktionen bekam, dass die multi-lineare Erzählweise fast zu einem Klischee verkommen sei, wollte ich unbedingt etwas „Einfaches“ machen. Es sollte zwar all die Aspekte beinhalten, die mich faszinieren, aber eben auf eine simplere Art und Weise. Als ich das Drehbuch las, war mir klar, dass es dafür am besten geeignet war. Es handelt von Traumata und Identität, sowie einer Art von Gerechtigkeit, aber trotzdem ist es auf eine eigene Art makellos, weil es sich von Punkt A über Punkt B zu Punkt C bewegt und dabei einer einzigen Figur folgt. Das war genau das, was ich tun musste. Also fühlte ich mich den Ganzen sehr verpflichtet.

Christopher Plummer liefert hier eine unglaubliche Performance an. Stand das alles so im Drehbuch oder haben Sie die Figur gemeinsam mit ihm am Set entwickelt?

Das Ungewöhnliche an seiner Rolle ist, dass es absolut nichts zwischen den Zeilen zu lesen gibt. Wenn man sonst ein Drehbuch liest, dann beginnt man automatisch, zusätzliche Dinge hinein zu interpretieren. Die Figur des Zev hat aber aufgrund seiner Demenz keinen wirklichen Sinn für seine eigene Vergangenheit. Obwohl es in der gesamten Geschichte eigentlich um seine Beziehung zu seiner eigenen Vergangenheit handelt, konnte er ja immer nur seine Wahrnehmung der aktuellen Zeit spielen. Wir benötigten also eine Darstellung, bei dem die Gegenwart im Mittelpunkt steht und dabei unglaublich fesselnd ist. Wir folgen dieser Figur, weil ihr Leben in der Gegenwart so intensiv ist. Ich wußte, dass Christopher genau dazu in der Lage ist. Ich habe ihn bereits so oft spielen sehen und finde, dass er einer der begabtesten Schauspieler ist, die wir haben. Diese Rolle unterscheidet sich zwar komplett von all dem, was er bislang gemacht hat, aber er war in der Lage, das mit einzubeziehen.

Es gab aber auch viele Diskussionen darüber, wer diese Figur überhaupt war. Obwohl er das nicht spielt, mussten wir ganz genau wissen, wie der Background der Figur aussieht und was aus ihm den Menschen gemacht hat, der er heute ist. Wir können darüber jetzt nicht weiter ins Detail gehen, ohne die Geschichte zu verraten, aber wer er war und was mit ihm passiert ist, musste unbedingt stimmig sein. Das musste von vornherein klar geplant werden.

Remember-Setfoto

Das Vergessen scheint in der heutigen Zeit ein großes Problem zu sein. Die Menschen vergessen zum Beispiel solch schreckliche Dinge wie den Holocaust.

Was an diesem Film so wichtig ist, ist dass eine der letzten Geschichten ist, die in der Gegenwart von den Menschen erzählt werden können, die darin involviert waren. Wichtig war hier auch, dass es keine Flashbacks gibt und es keine der typischen Klischees gibt. Man sieht keinen Horrorbilder, sondern lediglich, wie diese Ereignisse eine Rolle im heutigen Leben der Beteiligten spielen. Noch können wir diese Geschichte in der Gegenwart erzählen, aber in fünf Jahren wird das nicht mehr möglich sein – dann wird es zu einem Geschichtsfilm. Aber Sie haben Recht, wir sehen im Film diese Kinder, die sich nicht vorstellen können, dass es so etwas Schreckliches wirklich gegeben hat. Sie wissen nicht, wie man „Auschwitz“ oder „Nazi“ ausspricht. Aber es ist uns außerdem bewusst, dass dies die letzte Möglichkeit ist, diese Geschichte in unserer eigenen Gegenwart zu erzählen.

Gibt es irgendetwas, dass Sie um keinen Preis der Welt vergessen möchten?

Ja, natürlich! Wie die meisten Menschen möchte man nicht die Momente vergessen, an denen man besondere Erfahrungen gemacht hat. Die Momente, in denen man das erste Mal verliebt war oder eine Art von Berufung gefunden hat oder man ein Gefühl dafür bekommen, hat, was einen als Menschen ausmacht. Diese Erinnerungen sind äußerst wichtig. Viel interessanter ist es aber mitunter, was man zu vergessen wünscht. Auch damit geht der Film irgendwie um. Es gibt Dinge, die Deine Seele Dir zu vergessen erlaubt, weil es vielleicht weniger schmerzvoll ist. Die Frage ist jedoch, ob das dann auch gesünder ist und ob das Leben dadurch ausbalancierter ist. Ist das vielleicht eine kurzfristige Lösung, die erst später ihre Folgen hat? Und was sind dann die Konsequenzen? Und wie beeinflussen sie dann die Menschen um Dich herum? Diese Fragen werden allesamt im Film auf sehr dramatische Weise aufgeworfen.

Remember 02

REMEMBER könnte man durchaus auch als eine Art von Roadmovie bezeichnen? WO haben Sie den Film gedreht?

Wir haben in ganz Nordamerika gedreht. Die meisten Szenen haben wir aber in einer Stadt im Norden von Kanada, die eine sehr vielschichtige Architektur aufweist. Das hat uns erlaubt, viele verschiedene Ort zu referenzieren. Wir haben aber auch eine Kamera über die Strecke geschickt, die im Film zurückgelegt wird. Ich wollte nicht, dass REMEMBER ein typisches Roadmovie wird, bei dem wir sehr viel Zeit mit der Landschaft verbringen, denn das Wichtigste in diesem Film ist Christopher Plummers Gesicht. Also haben wir versucht, immer möglichst nah an seinem Gesicht zu sein. In den meisten Landschaftsaufnahmen schaut er daher auf die Natur und man sieht sein Gesicht als Reflexion im Fenster des Busses in der Landschaft. Ich wollte nie sein Gesicht verlassen, das war für mich der wichtigste Aspekt des Filmes.

Wie lange haben Sie gedreht?

Das war eine normale Drehzeit, etwa fünf Wochen. Da die Schauspieler alle älter waren, konnten wir natürlich nicht über einen kompletten Tag drehen. Wir mussten also ein wenig um dieses Energielevel herum planen. Aber wir haben trotzalledem nicht Monate gedreht.

Wie wichtig sind Filmfestivals wie das Filmfest Hamburg, um einen Film zu vermarkten?

Was für mich – gerade in Bezug auf diesen Film ganz besonders wichtig ist – sind die Fragerunden nach dem Film. Ich bin mir diesem Film bereits auf einigen Festivals gewesen und liebe die Reaktionen des Publikums direkt nach dem Film. Die Menschen möchten darüber sprechen und ich liebe es, inmitten dieser Unterhaltung zu sein. Das ist sehr aufregend. REMEMBER ist ein Film, der bei Dir bleibt und über den Du auch später noch nachdenkst. Aber es gibt genauso auch eine unmittelbare Reaktion und es macht Spaß, daran beteiligt zu sein.

Wenn Sie so ein Festival besuchen, finden Sie dann überhaupt die Zeit, auch andere Filme Ihrer Kollegen zu sehen?

Manchmal klappt das, nur leider nicht dieses Mal, da ich nur sehr kurz hier in Hamburg sein werde. Als ich das letzte Mal in Hamburg war konnte ich allerdings mehr Filme schauen. Ich fliege von hier aus direkt zum BFI Film Festival nach London, aber in der vergangenen Woche war ich auf einem Festival und dort konnte ich ein paar Filme sehen. Gestern Abend habe ich sehr viele Filmemacher getroffen, die mir jetzt alle ihre DVDs oder Streaminglinks schicken, damit ich ihre Filme trotzdem sehen kann. Hier vor Ort schaffe ich das nicht, weil ich zu sehr mit Menschen wie Ihnen beschäftigt bin. (lacht)

Remember 14

Vor zwei Jahren waren Sie hier beim Filmfest Hamburg mit THE DEVIL’S KNOT vertreten. Aufgrund der Krise beim Senator Filmverleih kam der Film dann leider nicht in die deutschen Kinos. Es muss doch sicherlich frustrierend sein, wenn ein Film letztendlich an so etwas scheitert, auf das Sie überhaupt keinen Einfluss haben?

Ja, das ist natürlich frustrierend, aber irgendwie kommen die Filme dann trotzdem irgendwie an die Öffentlichkeit. Es ist natürlich immer schöner, sie in einem Kino zu sehen, aber die Menschen sehen Filme heute auf so viele verschiede Weisen. Gerade Filme wie REMEMBER lassen sich sehr viel intensiver gemeinsam erleben, weil man dann die Spannung stärker wahrnimmt. Außerdem gibt es so etwas wie eine gemeinsame Reaktion und das finde ich immer äußerst aufregend und das schätze ich auch sehr als Filmemacher.

Wie sieht Ihre Zukunft aus? Was für Projekte stehen als Nächstes bei Ihnen an?

Ich schreibe, aber ich habe auch einige Bücher optioniert. Ich bin aber auch sehr in Opern und Theaterstücke involviert. Das nächste Projekt ist in der Tat ein Opernprojekt. Aber in den nächsten Monaten werde ich noch etwas mit diesem Film durch die Welt reisen. Denn, wie ich bereits sagte, ruft dieser Filme ein paar wunderschöne Reaktionen hervor und daran möchte ich teilhaben.

Vielen Dank für das Interview.

 

Wir haben das Interview am 8. Oktober 2015 im Rahmen des Filmfest Hamburg geführt.

Weitere Print-Interviews (deutsch)

overview

Im Gespräch mit François Ozon

overview

Im Gespräch mit Moritz Bleibtreu zu SCHULD

overview

Marcus Mittermeier im Interview zu SCHULD

overview

Interviews zu SOMMERFEST

overview

Lars Eidinger: „Mir gefällt, dass sich Olivier Assayas als Regisseur sehr zurücknimmt“

overview

Ron Clements, John Musker und Osnat Shurer über VAIANA; „Uns lag es sehr am Herzen, dem Zuschauer ein ähnliches Erlebnis zu bescheren, wie wir es erlebt haben, als wir das erste Mal dort waren.“

overview

Andreas Bourani: „Ich lebe von der Vielfalt und der Abwechslung“

overview

Im Gespräch mit Jennifer Connelly

overview

Christian Tramitz: „Ich bin ein großer Fan von Hank in FINDET DORIE“

overview

Interviews mit François Ozon und Paula Beer zu FRANTZ

overview

Kung Fu Panda 3

 USA 2015 |  96 Minuten |  Animation
overview

Interview mit Jack Black zu KUNG FU PANDA 3