Interview mit Adèle Exarchopoulos

Wir haben Adèle Exarchopoulos am 7. Dezember 2013 in Berlin getroffen, um mit ihr über den Film BLAU IST EINE WARME FARBE zu sprechen. 

Wie geht es Ihnen? Sie sind ja bereits seit Monaten auf Promo-Tour für den Film. Bereitet Ihnen das immer noch Spaß?

Wir sind seit dem Filmfestival in Cannes sehr viel gereist. Ich kannte mich vorher mit der Pressearbeit nicht so recht aus und mir war nicht klar, dass wir Tag für Tag immer wieder dieselben Fragen beantworten müssen. Aber ich mag es, wenn man von verschiedenen Kulturen auch unterschiedliche Reaktionen bekommt. Wir können froh sein, die ganze Welt bereisen zu können, auch wenn es bedeutet, dass man eigentlich nichts von den jeweiligen Ländern sieht. Man erzählt seinen Freunden, dass man in sich Los Angeles, New York oder Berlin nefindet, aber in Wahrheit steckt man eigentlich nur in Hotels fest. Aber es macht mir immer noch Spaß, weil wir uns am Ende befinden. Ich glaube, ich werde das sehr schnell vermissen, wenn mir klar wird, dass ich jetzt am nächsten Projekt arbeiten muss.

Haben Sie sich bei diesem Film verstärkt unter Druck gefühlt?

Bis Cannes war mir eigentlich nicht klar, wie der Film ankommen oder welche Preise er gewinnen würde. Aber für mich und meine Karriere war die Tatsache, dass ich jetzt im Rampenlicht stehe, durchaus schwierig, da ich den Druck spüre, den die Leute mir auferlegen. Sie erwarten jetzt so viel von meinem nächsten Film, dass ich eigentlich gar nicht das Recht habe, zu scheitern, einen schlechten Film zu drehen oder eine falsche Entscheidung zu treffen.

Hätten Sie erwartet, dass der Film so sehr einschlagen würde?

Niemals. Wir hatten zwar während des Drehs das Gefühl, dass wir etwas Seltenes schaffen, denn es war nicht gewöhnlich und sehr unkonventionell. Als ich nach Cannes kam, hatte ich erwartet, dass es Menschen gibt, die den Film mögen und andere, die ihn nicht mögen. Als wir dann aber sahen, dass jeder Journalist, jeder Besucher vom Film berührt war, war das für uns eine große Überraschung, mit der wir niemals gerechnet hätten. Und dass wir dann auch noch ausgezeichnet wurden, hat mich noch mehr überrascht, denn ich war zu dem Zeitpunkt ja gerade einmal 19 Jahre alt. Ich habe das alles wirklich nicht erwartet und das letzte Jahr war für mich ein unglaubliches und schnelles Jahr für mich.

Was würde passieren, wenn der Film bei der Oscar-Verleihung als bester fremdsprachiger Film ausgezeichnet würde oder vielleicht sogar Sie selbst eine Nominierung als beste Schauspieler bekommen würden?

Das wird nicht passieren, glaube ich, denn da gibt es viel zu viele große Schauspielerinnen vor mir.

Ist es überhaupt möglich, einen Film mit solch expliziten Sexszenen in die amerikanischen Kinos zu bringen?

Der Film läuft dort bereits und das sehr gut. Allerdings ist er auch erst ab 18 Jahren freigegeben und in Utah ist der Film sogar verboten worden. Wahrscheinlich weil sich die amerikanische Kultur in ihrer Prüderie auf diese Sexszenen versteift, weil es ungewohnt für sie ist. Aber dort ist ja alles etwas seltsam, denn wenn ich dort bin, kann ich kein Bier trinken, weil ich noch nicht 21 bin, aber ich kann mir eine Kalaschnikow kaufen. In allen Filmen gibt es Gewalt ohne Ende, aber wenn dann mal eine Sexszene kommt, dann gehen gleich die Alarmglocken an. Dabei waren das beim Dreh gar nicht die schwierigsten Szenen.

Welche Szenen waren denn schwierig zu drehen?

Das waren durchaus die Essensszenen, denn bei den Sexszenen lässt man sich einfach gehen. Man öffnet sich seinem Gegenüber, lässt es einfach geschehen und denkt an rein gar nichts. Abdellatif Kechiche verlangt von seinen Darstellern, dass sie sich komplett fallen lassen und ihre Maske verlieren. In den Essensszenen essen wir unglaublich viel, daher zählt die Szene mit meinem Freund zu Beginn des Filmes zu meinen schwierigsten. Ich habe dabei wirklich ein Trauma davon getragen, denn seitdem kann ich keinen Kebab mehr essen. Selbst wenn in Paris alle Läden geschlossen sind und ich am Verhungern bin, werde ich keinen Kebab mehr essen können. Allein am Morgen des Drehs musste ich davon acht Stück verdrücken. Und so ging es dann den ganzen Tag weiter.

In der Presse gab es Diskussionen zwischen Abdellatif Kechiche und Leà Deydoux, die sich gegenseitig Vorwürfe gemacht haben. Ist das inzwischen vorbei?

Ja, das liegt alles hinter uns. Das Ganze war ein riesiges menschliches Abenteuer und Abdellatif kann manchmal wirklich hart sein. Er hat eine unglaubliche Energie und will immer das Beste aus dir herausholen. Er dreht auch nicht wirklich nach einem Plan. Wenn gerade eine Liebesszene angesetzt ist, dann kann es sein, dass er zu dir sagt: „Okay, Du kannst gerne diese Liebesszene drehen, aber wenn Dir danach sein sollte, sie anzuschreien oder sie zu verlassen, dann mach das“. Er hat den Film also mehr an uns angepasst, als wir uns an den Film anpassen mussten. Das ist dann mitunter durchaus schwierig, weil es eben keinen Plan im konventionellen Sinn gibt. So kann es sein, dass man mal einen ganzen Tag nicht dreht und er plötzlich zu dir sagt „Komm, wir essen jetzt einen Cheeseburger und Du weinst dabei und dann schauen wir, wo wir das im Film verwenden können.“ Du musst ihm vollends vertrauen und dich ihm vollkommen hingeben. Das war ziemlich hart und intensiv. Für ihn ist es wahrscheinlich eine Art Pflicht, so nah wie möglich an der Realität zu sein.

Würden Sie wieder mit ihm arbeiten?

Ich glaube nicht jetzt sofort, weil ich erst einmal andere Dinge ausprobieren muss. Aber man kann zu ihm nicht nein sagen, weil er der wundervollste Regisseur ist. Vielleicht werde ich beim nächsten Dreh mit ihm anders denken, aber er ist jemand, der dich Dinge fühlen lässt und immer die besten Szenen für dich heraussucht.

Abdellatif Kechiche hat im Interview gesagt, dass er sich durchaus vorstellen kann, irgendwann weitere Kapitel aus Adèles Leben zu erzählen. Das wäre dann aber doch ein Grund, oder nicht?

Auf jeden Fall! Ich habe schon zu ihm gesagt, dass ich für den Fall, dass meine nächsten Filme floppen sollten, einfach mit den Fingern schnippe und ihm sage „Komm lass uns die Kapitel drei, vier und fünf drehen“.

Können Sie sich denn vorstellen, worum es in den weiteren Kapiteln gehen könnte?

Wir müssten uns vielleicht erst einmal im Klaren sein, in welchem Alter wir uns wieder mit Adèle beschäftigen. Ich liebe die Tatsache, dass der Film ein offenes Ende hat. So können sich die Zuschauer verschiedene Situationen in der Zukunft ausmalen. Vielleicht geht sie nach New York, vielleicht trifft sie auf einen Mann. Ich weiß es nicht, aber ich bin mir sicher, dass sie diese Liebe niemals vergessen wird.

Wie interpretieren Sie die letzte Szene des Films, in dem Adèle die Galerie verlässt und geht. Glauben Sie, dass sie jetzt in der Lage ist, nach vorne zu blicken?

Ja, das denke ich. Ich meine, Zeit heilt alle Wunden, gerade in einer solchen Situation. Ich denke schon, dass sie mit der Zeit das Kapitel wechseln wird.

Glauben Sie, dass zum Ende die gesellschaftlichen Unterschiede ausschlaggebend dafür waren, dass Adèle unglücklich war?

Das sehen fast alle so, aber ich kann dem irgendwie nicht so recht zustimmen. Ich denke, dass es viel mehr um eine Verkettung von Missverständnissen, Fehlinterpretationen, Einsamkeiten und Opferungen geht. Daher glaube ich, dass es andere Dinge sind, die zum Bruch führen. Meine Rolle hat zum Beispiel von Anfang an das Verlangen, Lehrerin zu werden. Dafür lebt sie, während Emma nie wirklich zufrieden ist und sich immer wieder selbst in Frage stellt. Und während sich Emma treiben lässt, bleibt Adèle an ihrer Seite und hofft, dass diese Stille irgendwann endet und es wieder besser wird. Aber Emma reagiert immer egoistischer. In der Szene, in der es zur Trennung der Beiden kommt, waren die Dialoge komplett improvisiert und mir kam als erstes in den Sinn, ihr zu sagen, „dass ich mich einsam gefühlt habe und Dich deshalb betrogen, aber dafür keinerlei Entschuldigung habe; dass ich es verbockt habe. Aber ich habe mich neben Dir einsam gefühlt, im selben Bett, im selben Haus, in derselben Beziehung. Du warst einfach nicht mehr da für mich.“

Was mir an diesem Film so sehr gefällt ist die Tatsache, dass die Geschichte fast dieselbe gewesen wäre, wenn sie sich in einen Jungen verliebt hätte. Sehen sie das genau so?

Ja, absolut! Es macht für mich keinen Unterschied, ob sie sich in ein Mädchen oder einen Jungen verliebt. Wir wollen, dass die Menschen vergessen, dass sich hier zwei Frauen ineinander verlieben. Selbst während des Drehs haben wir uns nie über irgendwelche lesbischen Themen unterhalten, sondern immer darüber, wie sich zwei Menschen treffen und ineinander verlieben. Wenn mich Menschen fragen, ob das die Meinungen anderer verändern wird, dann sage ich immer, dass meine Absicht nicht darin bestand. Ich btrachte es aber als großen Erfolg, wenn Menschen, die eigentlich ein Problem mit Homosexualität haben, am Ende des Filmes sagen, dass sie völlig vergessen, dass sich hier zwei Frauen lieben.

Im Internet gibt es viele Diskussionen darüber, wie Lesben über den Film denken. Haben Sie mit irgendwelchen gesprochen?

Ja, das habe ich. Da gab es diejenigen, die sagen, dass ihr Sex genauso aussieht wie im Film. Und dann gab es diejenigen, die das komplett anders sehen.

Es gibt im Comic, auf dem ja der Film basiert, eine Szene, in der Emma bei Adèles Eltern übernachtet und nachts von ihren Eltern nackt am Kühlschrank erwischt wird, was zu einem großen Streit führt. Was glauben Sie, warum gibt es die Szene nicht im Film?

Fragen Sie Abdellatif, denn er hat entschieden, welche Szenen in den Film kommen und welche nicht. Wir haben die Szene aber sogar gedreht. Nachdem ich den Film gesehen habe, habe ich mich aber genau dasselbe gefragt, weil ich die Szene sehr mochte. Vielleicht wollte er den Fokus nicht zu sehr auf das Lesbische legen. Aber die Szene war extrem schwierig zu drehen, denn nachdem meine Eltern das mit Emma und mir erfahren haben, kommt es zu einem riesigen Streit. Außerdem waren wir die ganze Zeit vollkommen nackt und obwohl ich mit Nackheit noch nie ein Problem hatte, fühlte ich mich in der Szene so verletzlich. Das war durchaus eine der schwierigsten Szenen des gesamtes Drehs.

Glauben Sie, dass vielleicht nicht nur der Film den Prozess des Erwachsenwerdens wiederspiegelt, sondern auch Ihr eigenes Erwachsenwerden darstellt?

Ich glaube nicht, obwohl ich vielleicht doch einige Dinge im Laufe des Filmes verändert habe. Zum Beispiel die Art und Weise wie ich esse, weil ich weiß, wie sehr es Abdellatif liebt, jemanden beim Essen zu beobachten. Aber ansonsten haben wir diesen Charakter komponiert.

Aber glauben Sie nicht, dass Sie mit dem Dreh erwachsener geworden sind? Oder sind Sie zu einer anderen Person geworden?

Nicht wirklich zu einer anderen Person, aber durchaus erwachsener. Ich habe durch die Rolle mit Sicherheit eine ganze Menge gelernt. Der Film war wahrscheinlich die beste Schule überhaupt.

Aufgrund der ganzen positiven Resonanzen aus den USA, haben Sie dort jetzt auch einen Agenten?

Ja, den habe ich. Obwohl ich jetzt nicht zwingend nach Amerika gehen muss. Dazu gibt es viel zu viele Regisseure hier, mit denen ich gerne arbeiten würde.

Liegen Ihnen denn schon Angebote von dort vor?

Ja, aber nichts Interessantes. Leider überwiegend Sexfilme. Aber ich muss erst etwas anderes machen, bevor ich wieder zu solchen Szenen zurückkehre.

Wissen Sie denn schon, was Sie am liebsten machen würden?

Nicht wirklich. Ich habe so viele Interessen…

Können Sie sich vorstellen, so etwas wie Julie Delpy zu machen, also Ihre eigenes Script zu schreiben oder Regie zu führen?

Ich glaube nicht im Moment. Es kostet so viel Energie, sich um alles zu kümmern. Ein Team zusammenzustellen, das Team zu bezahlen und sie dazu zu bringen, einen Film zu drehen. Aber mit 20 Jahren traue ich mir das noch nicht zu.

Wissen Sie schon, was Ihre nächsten Projekte sein werden?

Ja, als Nächstes arbeite ich mit Sara Forestier, die auch in Cannes mit dem Film „Suzanne“ vertreten war. Sie ist eine Schauspielerin und dreht ihren ersten eigenen Film und ich habe die Hauptrolle bekommen. Die Dreharbeiten dazu starten voraussichtlich im Februar 2014.

Lassen Sie uns kurz zu Leá Seydoux kommen. Die Chemie zwischen Ihnen war so toll und sicherlich auch notwendig für diesen Film, oder?

Oh ja. Als ich wusste, dass ich mit ihr eine Liebesgeschichte drehen sollte und sie ja nicht nur ein Jahr, sondern mehrere Jahre älter ist als ich, war mir klar, dass wir das nicht mit Gewalt herbeiführen sollten – nach dem Motto „Wir müssen jetzt beste Freundinnen werden“. Vom ersten Moment an spürte ich, dass sie ein besonderer Mensch ist. Sie hat eine ganz eigene Art und Weise, um sich solchen Rollen zu nähern. Sie ist einfach toll, talentiert und fügt einer Rolle etwas hinzu, das ich nicht beschreiben kann. Sie versprüht eine Art von Magie und wir wurden wirklich zu guten Freundinnen.

Glauben Sie, dass der Film genauso viel Aufmerksamkeit bekommen hätte, wenn es sich um eine Liebesgeschichte zwischen einem Jungen und einem Mädchen gehandelt hätte?

(zögert sehr lange)
Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Vielleicht wenn der Junge so gespielt hätte, wie Leá getan hat…

Ist es für Sie denn in gewisser Weise auch ein politischer Film?

Nein. Ich habe mich dem Film niemals auf dieser Ebene genähert. Wir haben immer eine Liebesgeschichte drehen wollen und nicht einen Film, der hauptsächlich die Homo-Ehe in Frankreich thematisiert. Das war ein wunderbarer Zufall, aber niemals von uns beabsichtigt. Es ist einfach ein Film, der in der richtigen Zeit spielt.

Können Sie sich noch an den Moment erinnern, als Sie das erste Mal eine Schauspielerin werden wollten?

Ich habe das während der Schulzeit herausgefunden. Ich war jung und habe schon mit 8 oder 12 Jahren kleine Improvisationen in der Klasse gemacht, bis der Lehrer zu mir kam und sagte, ich solle ruhig einmal bei Filmcastings mitmachen. Und so bekam ich meine erste Rolle in einem Kurzfilm und fand Gefallen daran. Von Film zu Film habe ich immer mehr gedacht, dass es toll wäre, wenn ich damit meinen Lebensunterhalt verdienen könnte, weil ich mich dabei einfach gut fühle.

Hatten Sie denn einen Plan B?

Mein Vater hat mir immer gepredigt, ich solle einen Plan B bereithalten. Aber es gab keinen, den ich gemocht hätte. Ich hatte mir überlegt, dass ich ansonsten sechs Monate in einer Bar arbeiten und dann sechs Monate auf Reisen gehen würde. Dann wieder ein halbes Jahr in einem Restaurant und so weiter. Das war kein wirklich guter Plan B.

Vielen Dank für das Interview.

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