Der erste Urlaub ohne Eltern, der Wunsch, die Unschuld zu verlieren – Molly Manning Walker zeigt in ihrem verdammt starken Langfilm-Regiedebüt HOW TO HAVE SEX eindrucksvoll, wie weit Vorstellung und Realität manchmal auseinander klaffen – und viel wichtiger: was es bedeutet, wenn man bedrängt wird.
Es soll die beste Zeit ihres Lebens werden: Mehr als Sonne, Drinks, Party und Sex interessiert die Teenager Tara (Mia McKenna-Bruce), Em (Enva Lewis) und Skye (Lara Peake) gerade nicht, als ihr heißer Club-Urlaub auf Kreta beginnt. Vor allem die 16-jährige Tara hat klare Vorstellungen, was hier noch passieren soll. Als einzige der drei Freundinnen ist sie noch Jungfrau – und das möchte sie in diesem Sommer unbedingt ändern…
Es ist kein einfaches Thema, dass sich Molly Manning Walker hier für ihr Regiedebüt ausgesucht hat. Bereits in ihrem Kurzfilm „Good, Thanks, You?“ beschäftigte sie sich mit den Folgen einer Vergewaltigung, nun wollte sie einen Schritt weitergehen und das erkunden, was danach passiert: Wie das Gespräch über sexuelle Übergriffe oftmals durch Schweigen erstickt wird und Zustimmung missverstanden und manipuliert wird. Basierend auf eigenen Erfahrungen aus ihrer Jugend im Club-Urlaub, von denen sie mir im Interview beim Filmfest Hamburg erzählt hat, hatte sie begonnen, das Drehbuch zu schreiben.
Für ihre Recherche bildete Manning Walker mit ihrem Team Fokusgruppen in verschiedenen Städten Großbritanniens, wie Manchester, Nottingham und London und hielt dort Workshops für Jugendliche ab, um herauszufinden, wie Jugendliche heute über Sex sprechen und denken. Das Ergebnis war schockierend: Manning Walker zeigte den Jugendlichen zwei Szenen aus ihrem Drehbuch und so gut wie niemand identifizierte diese als sexuelle Übergriffe. Es war also höchste Zeit, diesen Film umzusetzen.
Zum Glück war das Problem der Finanzierung mit den Ergebnissen ihrer Workshops aus dem Weg geräumt, schließlich hatte sie bewiesen, wie wichtig das Thema ist. Seine Premiere feierte der Film in diesem Jahr in Cannes und sorgte dort für stehende Ovationen. Dabei war Manning Walker für kurze Zeit irritiert, als es nach Einsetzen des Abspanns keinen Applaus gab. Aber sie hatte lediglich die Höflichkeit der Zuschauer unterschätzt. So musste sie ein paar Minuten bis zum Ende der Credits bangen, bis klar wurde, dass das Publikum mehr als begeistert war.
HOW TO HAVE SEX lebt von seiner Hauptdarstellerin Mia McKenna-Bruce, die sich für die Regisseurin als absoluter Glücksgriff erweisen sollte, obwohl sie davor nur in Kurzfilmen oder TV-Serien kleine Auftritte hatte. McKenna-Bruce gelingt es aber, ohne viele Worte unglaublich viel nur durch ihre Augen zu vermitteln. Als Zuschauer ist man sowieso ständig an ihrer Seite und wie es ihr gelingt, dem Unbehagen ihrer Figur nur durch Blicke Ausdruck zu verleihen, ist mehr als beeindruckend. Zu Recht wurde sie dafür am vergangenen Wochenende bei den British Independent Film Awards als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet.
Das Besondere an HOW TO HAVE SEX ist, dass Manning Walker ihre Geschichte ohne Wertung erzählt. Dass es sich bei den eingangs erwähnten Szenen nicht um einvernehmlichen Sex handelt, muss man als Zuschauer selbst erkennen, es wird uns nicht gesondert erklärt. Wobei ich mich immer noch frage, wie man das überhaupt als Zustimmung deuten kann. Aber Manning Walker vertraut ihrem Publikum voll und ganz – etwas, dass ich ihr ganz hoch anrechne.
HOW TO HAVE SEX ist ein verdammt wichtiger Film, der vor allem von Jugendlichen gesehen werden sollte – am besten noch mit einer anschließenden Diskussion. Also lasst uns diesem starken Regiedebüt Sichtbarkeit verleihen – indem wir ihn uns im Kino anschauen und weiterempfehlen.
Im Rahmen des Filmfest Hamburg hatte ich die Gelegenheit, mit der Drehbuchautorin und Regisseurin Molly Manning Walker über ihren Film zu sprechen.
How to Have Sex (Großbritannien / Griechenland 2023)
91 Minuten
Drama
Molly Manning Walker
Molly Manning Walker
Mia McKenna-Bruce, Lara Peake, Shaun Thomas, Samuel Bottomley, Enva Lewis, Laura Ambler, Anna Antoniades, Daisy Jelley, Eilidh Loan, Elliot Warren
Capelight Pictures Gerlach Selms GbR