Wie der Vater so der Sohn! Der iranische Starregisseur Jafar Panahi liebt es, seine Filme im Auto spielen zu lassen. In „Taxi Teheran“ (Goldener Bär 2015) spielt er einen Taxifahrer, der Kunden quer durch die Hauptstadt fährt und mit ihnen ins Gespräch kommt. In seinem bislang letzten Film „Drei Gesichter“ (Eröffnungsfilm beim Filmfest Hamburg 2018) spielt es sich selbst und fährt mit der berühmten iranischen Schauspielerin Behnaz Jafari auf einsamen Straßen in eine abgelegene Provinz im Nordwesten seines Landes, um den angeblichen Selbstmord eines jungen Mädchens aufzuklären. Jetzt hat sein Sohn Panah Panahi (Jahrgang 1984) mit HIT THE ROAD seinen ersten Spielfilm vorgelegt – und auch der spielt fast ausschließlich im Auto. Nicht nur für mich war dieses sensationelle Debüt der Höhepunkt des Hamburger Festivals!
Ein kleiner Junge sitzt neben seinem Vater auf der Rückbank eines Autos. Der hat ein gegipstes Bein, auf dem eine Klaviertastatur aufgemalt ist. Der Junge bewegt seine rechte Hand auf den Tasten und wir hören die passende klassische Musik dazu im Hintergrund. Schon diese verblüffende Eröffnungssequenz zeigt die surrealistische Ebene des Films, die der Regisseur bis zum Schluss durchhält. Währenddessen versucht die Mutter auf dem Parkplatz im Nirgendwo verzweifelt, ihr Smartphone so zu verstecken, dass sie es auf der Rückfahrt wiederfinden. Der junge Mann am Steuer, offenbar der ältere Sohn, steht nur stumm neben dem Auto.
Warum die Familie fern der Heimat unterwegs ist, wird lange nicht klar. Dem kleinen Jungen versuchen seine Eltern weiszumachen, sie fahren nur weit weg, um den kranken Hund, den sie dabei haben, einzuschläfern und in einer einsamen Gegend zu begraben. Aber warum müssen sie dafür das Smartphone verstecken, das ja geortet werden kann? Es geht offenbar um etwas ganz anderes – doch Panahi lässt sich lange nicht in die Karten gucken. Während wohl jeder Zuschauer vom hyperaktiven Jungen, der auch beim Fahren ständig im Innenraum herum hampelt, total genervt ist, wird durch wenige hingeworfene Sätze das Drama der Familie deutlich. HIT THE ROAD ist nur scheinbar eine Komödie: Die Vier sind auf dem Weg zur Grenze!
Trotz der vielen urkomischen Szenen ist die Tragik des Ganzen fast körperlich spürbar. Und Panahi schafft es mit schon früher Meisterschaft, die Ambivalenz zwischen Humor und Trauer in der Schwebe zu halten. Der Sohn hat viel von seinem berühmten Vater gelernt – und dessen Dreharbeiten sorgfältig beobachtet. Doch in einem auffälligen visuellen Moment unterscheiden sich die beiden: Jafar Panahi pflegt seit Jahren einen nüchternen, eher funktionalen Stil, bei seinem Sohn ist ein gesteigerter Kunstwillen zu erkennen. Er kopiert nicht seinen Vater, er schafft etwas Neues, Einzigartiges. HIT THE ROAD ist durchzogen von erlesenen Tableaus, die allein durch ihre unglaubliche Schönheit wohl jeden Zuschauer faszinieren werden. Viele meiner Kollegen waren nach der Vorführung wie erschlagen von dieser ästhetischen Wucht: die Mutter, die in der Abenddämmerung ständig zwischen zwei Baumgruppen hin und her pendelt, ohne dass sich die Kamera nähert, ein bizarres Camp an einem Bergrücken – man sieht nur schemenhaft Zelte und Lagerfeuer -, ein ausgetrockneter See vor leerem Hintergrund. Niemand wird diese Bilder vergessen!
Hier wächst ein großer Regisseur heran. Hoffen wir, dass HIT THE ROAD in Deutschland einen Verleih findet. Diesen grandiosen, zutiefst humanen Film sollte jeder sehen!