Darf ein Horrorfilm wirklich so irritierend harmlos und seltsam vertrackt anfangen wie HERETIC von Scott Beck und Bryan Woods? Natürlich – denn das Böse kommt noch früh genug. Und die beiden Regisseure, die auch gemeinsam das Drehbuch geschrieben hatten, warten mit einem überraschenden Besetzungs-Coup auf: Der geheimnisvolle Hausbesitzer wird von keinem Geringeren als Hugh Grant gespielt. Ein Volltreffer! (Zum Titel: HERETIC heißt auf Deutsch „Ketzer“.)
Ein Städtchen irgendwo in den Rocky Mountains. Zwei junge Frauen quälen sich mit ihren Fahrrädern mühsam eine steile Treppe mitten im Ort hinauf und unterhalten sich dabei über Sex-Fantasien und Verhütungsmittel. Also ganz normal! Weit gefehlt: Schwester Barnes (Sophie Thatcher) und Schwester Paxton (Chloe East) sind zwei unerfahrene Missionarinnen der „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“, einer christlichen Glaubensgemeinschaft, die zu den Mormonen gezählt wird. Die Mädchen müssen von Tür zu Tür gehen, um ihre Broschüren zu verteilen und die Menschen zu bekehren.
Als der Regen einsetzt, landen sie vor einem versteckt gelegenen, von hohen Bäumen umgebenen Vorstadthaus. Erst nach mehrmaligem Klopfen wird die Tür von einem höflichen älteren Herrn geöffnet. Mr. Reed (Hugh Grant) entpuppt sich als unglaublich nett und interessiert. Er bittet die beiden Frauen zu einem Gespräch herein, seine Frau habe gerade einen Blaubeerkuchen gebacken. Der Duft reicht sogar bis zur Haustür. Nach kurzem Zögern treten die beiden ein. Wir Horrorfans wissen: Das hätten sie nicht tun sollen – denn der Schein in der Gestalt von Mr. Reed trügt…
Was folgt, ist ein gefährliches Katz-und-Maus-Spiel. Bald sind die drei in eine intensive Diskussion über die verschiedenen Weltreligionen verstrickt. Bei der Frage, welche war zuerst da, liefert Mr. Reed den Mädchen ein wunderbares Beispiel zum Thema Original und Plagiat: Er spielt ihnen nacheinander die Songs „The Air That I Breathe“ von den Hollies und „Creep“ von Radiohead vor. (Bekannterweise musste die zweite Band später das Plagiat zugeben.) Auf den ersten Blick mag diese merkwürdige Szene in diesem Horror-Kontext aus dem Rahmen fallen – doch sie gehört zu den Höhepunkten des Films.
Als Mr. Reed kurz das Wohnzimmer verlässt, um den Kuchen zu holen, merken die Frauen, dass der Blaubeergeruch von einer Duftkerze im Zimmer stammt. Von wegen Ehefrau! In Panik wollen die beiden das Haus verlassen – doch die Tür ist verschlossen. Sie sitzen in der Falle. Der zurückgekehrte Mr. Reed appelliert an den Glauben der Missionarinnen und stellt sie vor eine Alternative: Sie müssten zwischen zwei Türen wählen. Auf einer steht „Glaube“, auf der anderen „Zweifel“. Eine Tür gehe in die Freiheit, die andere in den…
Doch darf man dem diabolischen Mr. Reed trauen? Und wie gehen die beiden Frauen mit ihrer Angst um? Mit einem intelligenten Drehbuch und einer durchdachten Regie haben Scott Beck und Bryan Woods mit HERETIC das Horror-Genre neu erfunden. In keiner Sekunde ist der Zuschauer sich sicher, wie es weiter geht. Bis zum Schluss hoffen wir, dass das Ganze unblutig endet. Fast der komplette Film spielt in nur diesem einen labyrinthischen Haus mit seinen verwinkelten Fluren. Horror-Fans ahnen: Dieses abgelegene Gebäude könnte auch einen Keller haben…
Drei tolle Schauspieler und eine unvorstellbare Spannung, die kaum noch auszuhalten ist. Obwohl sich fast alles nur in unserer Vorstellung abspielt, fühlen wir uns am Ende wie erschlagen! So durchgeknallt haben wir die einstige RomCom-Ikone Hugh Grant noch nie gesehen.
Heretic (USA / Kanada 2024)
111 Minuten
Horror / Thriller
Scott Beck, Bryan Woods
Scott Beck, Bryan Woods
Chung-Hoon Chung
Hugh Grant, Sophie Thatcher, Chloe East, Topher Grace, Elle Young
Plaion Pictures GmbH