Dem Leben auf der Spur

15.12.2022

Mit DEM LEBEN AUF DER SPUR erzählt der isländische Regisseur Elfar Adelsteins eine zu Herzen gehende Geschichte über zwei einsame Seelen und ihre langsame Annäherung aneinander während eines Roadtrips in Irland.

Nachdem er gerade erst seine Frau an den Krebs verloren hat, macht sich Frank Fogle (John Hawkes) auf nach Irland, um dort ihre Asche zu verstreuen. Sein entfremdeter Sohn Sean (Logan Lerman) erklärt sich widerwillig bereit, ihn dabei zu begleiten, jedoch nur, wenn sein Vater verspricht, dass er ihn danach nie wieder sehen muss. Als eine alte Liebschaft seiner Frau wieder ans Licht kommt und die beiden eine Anhalterin (Sarah Bolger) mitnehmen, die jedoch ihre eigenen Ziele verfolgt, müssen Vater und Sohn auf unerwartete Art und Weise wieder zueinander finden. 

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Geschichten wie diese, in der sich zwei Menschen widerwillig auf einen Roadtrip begeben, hat es in der Filmgeschichte schon viele gegeben. In dieser Version jedoch zeigt Adelsteins, wie man eine solche Story richtig angeht. Das beginnt bereits mit der Eingangssequenz, in der Frank Fogle gemeinsam mit seiner Frau den Sohn im Gefängnis besucht. Vor dem Einlass wird sie aufgefordert, ihr Kopftuch abzunehmen und gewährt so dem Zuschauer einen intimen Blick auf ihren Gesundheitszustand. Dieser demütigende Akt genügt, um die Verbundenheit der zwei mehr als deutlich zu zeigen. In einer anschließenden Szene zeigt der Film, wie John seine Frau liebevoll in den Arm nimmt. Gänzlich ohne Worte und nur mit wenigen Bildern kreiert Adelsteins hier eine Stimmung, die vermutlich niemanden unberührt zurücklässt. Das ist wahrhaftige Filmkunst und so ist es völlig unnötig, den Tod der Frau zu zeigen. Wo andere Filme unnötig auf die Tränendrüse drücken, verlässt sich der Regisseur hier voll und ganz auf seine Darsteller und weiß so zu überzeugen.

Durch diese Art der Figurenzeichnung ist schnell klar, dass Adelsteins sein Handwerk verstehen und wir als Zuschauer in seinen Händen mehr als gut aufgehoben sind. Zum Glück bleibt er bis zum Ende des Films diesem Stil treu und obwohl es mehr als genug Momente gibt, in denen der Film in Klischees abdriften könnte, bleibt er stets auf dem richtigen Kurs. 

Einen magischen Moment liefert Sarah Bolger, deren Figur von dein beiden Protagonisten auf ihrem Roadtrip mitgenommen wird, nachdem Sean sie in einer Bar kennengelernt hat. In einem kleinen Pub irgendwo in Irland stimmt sie mit der dort spielenden Band den melancholischen Folk-Song „Dirty Old Town“ an. Dieser wurde 1949 von Ewan McColl geschrieben und durch die Bands „The Dubliners“ und „The Pogues“ bekannt. Diese Aufnahme, die ohne Nachvertonung genau so am Set aufgenommen wurde, sorgt für einen absoluten Gänsehautmoment.

Aber auch der wunderbare John Hawkes verleiht seiner Figur des Frank mit seiner sensitiven und zurückhaltenden Darstellung sehr viel Glaubwürdigkeit. Auch Logan Lerman weiß in der Rolle des Sean Fogle zu überzeugen. Besonders interessant ist hier, dass er für die Rolle sicherlich nicht die offensichtliche Wahl gewesen ist, schließlich ähnelt seine Rolle überhaupt nicht denen, die er bislang immer gespielt hat. Hier ist er endlich einmal nicht der schüchterne, zurückhaltende junge Mann, dem Selbstbewusstsein ein Fremdwort ist. Nein, in dieser Rolle ist er aufbrausend, leicht reizbar und weiß offenbar ganz genau, was er will und was nicht.

Im Gegensatz zu anderen Filmen, in denen sich entfremdete Väter und Söhne wieder annähern, ist bei DEM LEBEN AUF DER SPUR jedoch meist der Sohn die treibende Kraft ist, die die Veränderung auslöst. Auch die Erlebnisse, die sowohl Vater, als auch Sohn zu dem werden ließen, was sie heute sind, spart sich der Film komplett aus. Es gibt keine tränenreichen Rückblenden, die das eine oder das andere Verhalten erklären. Das ist auch nicht nötig, denn es ergibt sich aus dem intensiven Zusammenspiel der beiden Hauptdarsteller.

DEM LEBEN AUF DER SPUR ist ein wunderbarer Roadtrip, der niemals den eingeschlagenen Weg verlässt, keine unnötigen Umwege geht und so den Zuschauer emotional an sich bindet. Genau so sieht großes Gefühlskino aus.

Interview

Im Rahmen des 73. Edinburgh International Film Festivals hatte ich die Gelegenheit, mich mit dem Hauptdarsteller John Hawkes und dem Regisseur Elfar Adelsteins über den Film und weitere Details zu unterhalten:

Trailer

Im Rahmen der Berichterstattung
ab12

Originaltitel

End of Sentence (Irland / Island / USA 2019)

Länge

96 Minuten

Genre

Drama

Regie

Elfar Adelsteins

Drehbuch

Michael Armbruster

Darsteller

John Hawkes, Logan Lerman, Sarah Bolger, Ólafur Darri Ólafsson

Weitere Neustarts am 15.12.2022