Eine letzte Reise

24.04.2025

Es gibt den Begriff des Hybrid-Films: ein Kunstwerk, das sich irgendwo zwischen Dokumentar- und Spielfilm bewegt. EINE LETZTE REISE von Filip Hammar und Fredrik Wikingsson ist so ein Fall. Manches ist genau so passiert, manches ist nachgestellt, manches sorgfältig geprobt und inszeniert. Und wir Zuschauer sitzen genau dazwischen. Ziemlich bizarr!?!

Das schwedische Regie-Duo Filip Hammar und Fredrik Wikingsson wollte Filips Vater Lars eine letzte Freude bereiten. Der 80-jährige ehemalige Lehrer fällt am Ende seines Lebens in eine tiefe Depression. Auch seine Frau Tiina und sein Sohn können ihm nicht helfen. Da kommt Filip auf die verrückte Idee, die Urlaubsreisen, die Lars als junger Vater mit Frau und Kindern jeden Sommer nach Südfrankreich unternahm, noch einmal nachzustellen: als einen mit der Kamera begleiteten Trip der beiden befreundeten Filmemacher Filip und Fredrik mit Lars im Schlepptau.

Lars schwärmt noch immer von damals – und er hat vieles in guter Erinnerung. Doch sein Gedächtnis lässt langsam nach. Mit einem orangefarbenen Renault 4 machte sich die Familie jedes Mal auf die lange Autofahrt von der schwedischen Kleinstadt Köping bis zum Badeort Beaulieu-sur-Mer an der Côte d’Azur. Von den damaligen Reisen existiert jede Menge Super-8-Material, das Filip in seinem Film geschickt einsetzt.

Was benötigt man für dieses Experiment, diese Reise zu wiederholen? Lars’ guten Willen und die nötige Kondition – und einen orangefarbenen Renault 4. Die einstige Familienkutsche existiert längst nicht mehr. Doch Filip wird fündig – und Lars ist bereit für das Abenteuer. Leider steht der Beginn der Reise unter keinem guten Stern. Beim ersten Übernachtungsstop in Malmö stürzt Lars im Hotel-Badezimmer unglücklich und bricht sich den Oberschenkelhals.

Was nun? Abbrechen oder weitermachen? Natürlich stehen alle unter Schock, doch Tiina überredet ihren Mann, sich nach der notwendigen Reha noch einmal einen Ruck zu geben – nach dem Motto: Du schaffst das! So fahren Flip und Fredrik erst einmal mit dem Auto voraus und harren der Dinge. Sie durchqueren Dänemark, Deutschland und Belgien. Was niemand mehr zu hoffen gewagt hatte: Direkt an der belgisch-französischen Grenze steigt Lars aus einem Taxi: einigermaßen fit, aber mit Rollator. Es kann losgehen!

In Beaulieu-sur-Mer angekommen, beziehen die drei das selbe Apartment wie damals – mit Blick aufs Mittelmeer – und auf die Eisenbahngleise direkt unter dem Balkon. Sie treffen auf Lars’ Freunde von damals, die in Erinnerungen schwelgen. Filip kommt auf die geniale Idee, einige Episoden bewusst zu inszenieren, ohne dass Lars etwas davon mitbekommt. Das kann lustig werden…

Damals musste Lars eine Anekdote über Harry Belafonte, die er seinen Freunden auf dem Balkon erzählte, direkt vor der Pointe unterbrechen – weil donnernd ein Zug vorbeifuhr. Was also brauchen Filip und Fredrik für die Rekonstruktion: zwei Handys und einen passenden Zug. Urkomisch!

Der zweite Streich ist noch absurder. Jahrzehntelang hatte sich Lars im Familienkreis darüber amüsiert, dass sich französische Autofahrer ständig auf offener Straße laut streiten. So sitzen Filip und sein Vater eines Tages in einem Straßencafé, als direkt vor ihren Augen ein hitziger Disput über eine Parklücke ausbricht, der zu eskalieren droht. Was Lars nicht weiß: Die Autofahrerin und der Autofahrer sind Mitglieder einer örtlichen Theatertruppe, mit der Filip fleißig geprobt hatte.

Doch leider übertreibt der Sohn am Ende, als er seinen Vater bittet, noch einmal Ratatouille zuzubereiten. Als der schwer an Parkinson erkrankte Lars verzweifelt versucht, das Gemüse zu schneiden, und dabei scheitert, hält die Kamera gnadenlos drauf. Das ist absolut unwürdig!

So bleibt am Ende ein schaler Nachgeschmack. EINE LETZTE REISE ist der nicht ganz geglückte Versuch, mit einer genialen Idee das Genre des Dokumentarfilms aufzufrischen. Denn eine Frage steht im Raum: Wusste Lars, auf was er sich da einließ? Und hat er dies später bereut? Mir ist nicht wohl dabei: Ich empfinde hier ein Hauch von Ausbeutung.

Immerhin war EINE LETZTE REISE der schwedische Beitrag bei den diesjährigen Oscars in der Kategorie „Bester Internationaler Film“. Gewonnen har er nicht!

Trailer

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Originaltitel

Den sista resan / The Last Journey (Schweden 2025)

Länge

95 Minuten

Genre

Dokumentation

Regie

Filip Hammar, Fredrik Wikingsson

Drehbuch

Filip Hammar, Fredrik Wikingsson

Kamera / Director of Photography (DOP)

Erik Persson, Erik Vallsten, Robin Trolin

Darsteller

Filip Hammar, Lars Hammar, Fredrik Wikingsson, Tiina Hammar

Verleih

Universal Pictures International Germany GmbH

Filmwebsite

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