Die Zeit, die wir teilen

31.08.2022

Die Französin Isabelle Huppert ist wegen ihres unglaublichen Nuancenreichtums wohl die beste europäische Schauspielerin unserer Tage. Doch auch sie darf Fehler machen. Nach dem Lesen des Drehbuchs zu DIE ZEIT, DIE WIR TEILEN hätte sie in meinen Augen sagen müssen: „Nein, danke!“ Doch Regisseur Laurent Larivière konnte sie überreden – und so läuft der Film mit ihr in der Hauptrolle jetzt im Kino.

Joan Verra (Isabelle Huppert), Tochter eines irischen Vaters und einer französischen Mutter, sitzt im nächtlichen Regen am Steuer ihres Autos – und spricht plötzlich uns Zuschauer direkt an. (Nicht unbedingt ein Regieeinfall, der mir gefällt.) Sie meint, uns ihr Leben erzählen zu müssen – und wir haben nur zwei Möglichkeiten: zuzuhören oder das Kino zu verlassen. Und so blättert sie die Existenz ihrer vergangenen 40 Jahre auf. Als junges Mädchen (gespielt von Freya Mavor) arbeitet sie als Au-pair-Mädchen in Dublin, der Heimatstadt ihres Vaters. Auf dem Bahnhof begegnet sie dem einheimischen Taschendieb Doug (Eanna Hardwicke), dessen Charme sie sofort verzaubert. Die beiden werden ein Paar – bis sie im Knast landen und Joan des Landes verwiesen wird. Zurück in Frankreich muss sie ihren Eltern von ihrer Schwangerschaft beichten. Sie will das Kind aber unbedingt allein aufziehen.

Jahre später – Joan ist inzwischen erfolgreiche Verlegerin – wird sie in Paris von einem Mann verfolgt. Als sie ihn anspricht, offenbart er sich als ihr einstiger Lover Doug. Doch von ihrem gemeinsamen Sohn erzählt sie ihm nichts. Aber diese unerwartete Begegnung wirft sie so aus der Bahn, dass sie sich auf ihr Landhaus in der Provinz zurückzieht. Dort erhält sie Besuch vom deutschen Autor Tim Ardenne (Lars Eidinger), den sie betreut. Und der deutsche Schauspieler spielt diese Rolle mit allen seinen Manierismen, die wir seit Jahren von ihm kennen. Besonders die gemeinsame Lesereise nach Köln lässt kein Klischee aus: Natürlich ist der Autor sturzbesoffen und sprengt die öffentliche Lesung.

Doch was ist mit Joans Sohn Nathan, der in all diesen Jahren in verschiedenen Altersstufen immer wieder auftaucht? Regisseur Laurent Larivière inszeniert diese Episoden so raffiniert, dass wir an eine Geistergeschichte glauben wollen. Das Rätsel wird erst sehr spät gelüftet.

Für diese Art Kino gibt es ein wunderschönes Fremdwort: „prätentiös“. Dieser anmaßende, falsche Kunstanspruch zieht sich durch den ganzen Film – da ist nichts echt, da ist alles peinliche Attitüde. Das hemmungslose Overacting Lars Eidingers konnte der Regisseur nicht bremsen – und Isabelle Huppert wirkt im Film wie verloren. DIE ZEIT, DIE WIR TEILEN ist eine einzige Enttäuschung!

Trailer

ab12

Originaltitel

Apropos de Joan (Frankreich / Deutschland / Irland 2022)

Länge

101 Minuten

Genre

Drama

Regie

Laurent Larivière

Drehbuch

François Decodts, Laurent Larivière

Darsteller

Isabelle Huppert, Lars Eidinger, Freya Mavor, Swann Arlaud, Louis Broust, Dimitri Doré, Florence Loiret-Caille, Fabrice Scott, Stanley Townsend, Éanna Hardwicke, Breffni Holahan, Leo Hanna, Yongsou Cho, Jorg Schnass

Verleih

Camino Filmverleih GmbH

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