Ein Knie geht durch die Welt – das hatten wir schon: Das stammt aus einem Gedicht von Christian Morgenstern. In DER ZOPF von Laetitia Colombani erleidet ein Haarteil das gleiche Schicksal und reist über drei Kontinente von Asien über Europa nach Nordamerika. Nach ihrem eigenen Roman verfilmte die französische Regisseurin drei Episoden über drei starke Frauen, auf den ersten Blick scheinbar zusammenhanglos, doch am Ende fügt sich alles zusammen. Das anrührende Melodram ist nichts weniger als ein Essay über die weltweiten Produktionsbedingungen – ist aber alles andere als trocken. DER ZOPF entpuppt sich als ein reichlich sentimentaler Film – wegen seiner Symbolübersättigung leider hart am Rande der Kolportage.
Smita (Mia Maelzer) lebt mit Mann und kleiner Tochter in einem Dorf in Nordindien. Als „Unberührbare“ müssen sie in einer schäbigen Hütte fernab der anderen Bewohner hausen. Der Mann arbeitet auf den Feldern, Smita entleert tagtäglich die Toiletten der Reichen. (Besser nicht hinsehen!) Sie träumt davon, ihre Tochter in die Schule zu schicken – doch dafür fehlt das Geld. Ihr Mann hat sich mit dem Leben als „Paria“ abgefunden – sie nicht. Eines Nachts flieht sie mit ihrer Tochter zu ihren Cousins in den Süden Indiens. Bei einem Zwischenstopp opfern Mutter und Tochter in einer religiösen Zeremonie ihr Haar. (Diese aufdringliche Symbolik zieht sich durch den ganzen Film.)
Giulia (Fotini Peluso) arbeitet in einem malerischen Hafenstädtchen auf Sizilien in der Perückenwerkstatt ihres Vaters. Mit ihren aufreizenden Hotpants ist die Schöne die Attraktion des Ortes – auch schon wegen ihrer überwältigenden Haarpracht. Ihre Mutter will sie mit dem Sohn reicher Eltern verheiraten, doch sie lehnt ab. Nach einem Unfall liegt ihr Vater im Koma, und sie übernimmt das Atelier. Dabei muss sie feststellen, dass der Laden kurz vor der Pleite steht. Giulia lernt den in Italien gestrandeten Kamal (Avi Nash) kennen und verliebt sich in ihn. Vor dem ersten Sex darf sie dem Sikh seinen Turban öffnen – darunter verbergen sich Haare, die Kamal fast bis zur Taille reichen. Er schlägt ihr vor, um die Firma zu retten, echtes Haar aus Indien zu importieren.
Im kanadischen Montreal lebt die alleinerziehende Sarah (Kim Raver) als erfolgreiche Anwältin. Ihr Chef bietet ihr an, als Partnerin in die Firma einzusteigen. Doch nach einem Zusammenbruch während eines Prozesses wird bei ihr Brustkrebs diagnostiziert. Um sich die Karriere nicht zu verbauen, verschweigt sie gegenüber ihrem Chef die OP und anschließende Chemotherapie: Sie schwindelt einen Besuch bei ihrem Vater im fernen Florida vor. Zu dumm, dass eine intrigante Kollegin ihr Geheimnis verrät. Und am Ende ist Sarahs Glatze nicht mehr zu verbergen. Wir ahnen es: Die wunderschöne Perücke, die sie notgedrungen akzeptiert, hatte einen langen Weg von Indien über Italien nach Kanada hinter sich.
Ich habe dies hier deshalb so ausführlich skizziert, um das Prinzip dieses Melodrams deutlich zu machen. Die Regisseurin Laetitia Colombani, die auch gemeinsam mit Sarah Kaminsky das Drehbuch schrieb, lässt hier nichts im Unklaren – wie Kinder werden wir Zuschauer an die Hand genommen und durch die 121 (!) Minuten geführt. Die Machart erinnert trotz der atemberaubenden Bilder, die „on location“ gedreht wurden, stark an die beliebten Kolportage-Filmchen, die wir von den TV-Privatsendern her kennen. So bleibt trotz der drei tollen Schauspielerinnen ein fader Nachgeschmack. Und wir müssen die ganze Zeit die gedudelte Klaviermusik von Weltstar Ludovico Einaudi ertragen. Unter uns: Ich mag diesen Komponisten nicht!
La Tresse (Frankreich / Kanada / Italien / Belgien 2023)
121 Minuten
Komödie / Tragikomödie / Drama
Laetitia Colombani
Laetitia Colombani, Sarah Kaminsky, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Laetitia Colombani
Capelight Pictures Gerlach Selms GbR