Ein Leben zwischen allen Stühlen. Die deutsch-aserbaidschanische Schriftstellerin Olga Grjasnowa hatte in ihrem viel beachteten Roman „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ ihre Verlorenheit beschrieben: Wohin gehöre ich? Die deutsche Regisseurin Pola Beck hatte sofort das Potenzial dieser Geschichte erkannt und sich um die Filmrechte bemüht. Ihre Traumbesetzung war dann nur noch Formsache: Die Deutsch-Türkin Aylin Tezel, vielen von uns vor allem als Tatort-Kommissarin bekannt, spielt in DER RUSSE IST EINER, DER BIRKEN LIEBT die Hauptrolle.
Zu Beginn badet die Endzwanzigerin Mascha (Aylin Tezel) im Meer. Im Hintergrund sehen wir hässliche Hochhäuser, die bis zum Strand reichen. Wo ist sie? In einer Rückblende erleben wir ihr Leben in Köln. De angehende Dolmetscherin spricht fünf Sprachen und bewirbt sich für einen lukrativen Job bei der UN in Genf. Ihr bester Freund ist ihr Kollege Cem (Sohel Altan Gol), genauso ein Kosmopolit wie sie. In ihrer Altbauwohnung lebt sie mit dem Profifußballer Elias (Slavko Popadić) zusammen. Warum nicht irgendwann heiraten? Doch insgeheim fühlt sich die junge Frau, die vor Jahren aus Baku emigrieren musste, immer noch nicht in Deutschland heimisch.
Beim Training erleidet Elias einen Oberschenkelhalsbruch – für einen Fußballer eigentlich nichts Dramatisches. Doch die Verletzung entzündet sich, und er stirbt völlig banal an einer Sepsis. Um ihre Trauer zu überwinden, reist Mascha in Elias’ Heimat nach Tel Aviv, um ihm immer noch nahe zu sein. (Ihr dortiges Bad im Mittelmeer ist der Anfang des Films.)
In der Stadt lernt sie Tal (Yuval Scharf) kennen, und sie verliebt sich sofort in die schöne Israelin. Beide Frauen ziehen zusammen – doch ihr gemeinsames Leben ist nicht einfach: Beide sind wild, laut, spontan und aufbrausend: beide im Grunde ihres Herzens immer noch orientierungslos.
Das alles fangen die Regisseurin Pola Beck und ihr Drehbuchautor Burkhardt Wunderlich in seltsam fließenden Szenen wunderbar präzise ein. Hier wird das Nicht-Dazu-Gehören quasi körperlich spürbar. Dafür findet die Regisseurin ein erstaunliches Symbol. Mascha stammt aus einer ehemaligen Republik des UdSSR – und wie heißt der Lieblingsbaum der Russen? Die Birke. Am Ende besucht Mascha einen denkmalgeschützten Wald in Jerusalem, in dem sich nur eine (!) Birke befindet. Und sie umarmt sie!
Hier haben ein mutige Regisseurin und ihre grandiose Hauptdarstellerin es geschafft, uns in einem nur auf den ersten Blick unscheinbaren Independent-Film die Ziellosigkeit einer Generation aufzuzeigen, die nach dem europaweiten Umbruch 1989/90 jeden Halt verloren hatte.
Der Russe ist einer, der Birken liebt (Deutschland 2021)
105 Minuten
Drama
Pola Beck
Burkhardt Wunderlich
Aylin Tezel, Sohel Altan Gol, Slavko Popadić, Yuval Scharf, Bardo Böhlefeld, Aleksandar Jovanovic
Port au Prince Pictures GmbH