Wahre Kunst oder Ware Kunst? Zwischen diesen beiden Extremen bewegt sich der Dokumentarfilm DER ILLUSIONIST von Birgit Schulz. Er ist in erster Linie ein Porträt über den Kunstberater und verurteilten Betrüger Helge Achenbach – und gleichzeitig eine urkomische Groteske über die Auswüchse des Kunstmarkts im neuen Jahrtausend.
Als Student der Sozialpädagogik tauchte Achenbach Anfang der 1970er-Jahre parallel in die Szene der Düsseldorfer Kunststudenten ein und lernte dabei auch Joseph Beuys kennen. Er verbrachte Zeit in den Ateliers, erhielt Einblicke in die Arbeit der jungen Künstler und freundete sich mit ihnen an. Der Visionär entdeckte die Verbindung von Architektur und Kunst und erfand für sich den Beruf des „Kunstberaters“. 1977 gründete er die erste Art-Consulting-Firma Deutschlands und wurde Mitinhaber einer Düsseldorfer Galerie.
Er reiste mit seinem Auto quer durch Europa und hielt Ausschau nach im Bau befindlichen prestigeträchtigen Bürogebäuden. Clever wie er war, sprach er die Leitung der Unternehmen direkt an: „Was haltet ihr von moderner Kunst an den Wänden des fertigen Gebäudes?“ Und so vermittelte er für seine Großprojekte Werke von beispielsweise Gerhard Richter, Jörg Immendorf, Georg Baselitz, Siegmar Polke, Günther Uecker, Andy Warhol und Jeff Koons – also die Crème de la Crème der internationalen Kunstszene.
Bald war Helge Achenbach eine feste Größe der Düsseldorfer Schickeria, zumal er im Nebenberuf mehrere piekfeine Restaurants eröffnete, in denen er jeden Abend ein gerngesehener Gast war. Er heiratete eine renommierte Kunsthistorikerin, die ihm eine solide Basis vermittelte. Denn eines wird im Verlauf von DER ILLUSIONIST schnell deutlich: Von Kunst hatte Helge Achenbach nicht viel Ahnung. Ihm ging es nur ums Geld!
Und das wurde ihm zum Verhängnis: Als ihm bei einem Deal mit der Aldi-Dynastie die Bezahlung zu gering erschien („Zulieferer bekommen von uns nur fünf Prozent“), zweigte er für sich mit „verdeckten Preisaufschlägen“ etliche Millionen ab – und wurde erwischt. Bei seinem Rückflug von Brasilien nach Düsseldorf wurde er 2014 noch am Flughafen verhaftet und in Untersuchungshaft gesteckt. Der geständige Achenbach wurde beim Medienrummel-Prozess wegen Betrugs, Urkundenfälschung und Untreue zu einer Haftstrafe von sechs Jahren verurteilt, von denen er zwei Drittel absaß. Im Knast in der JVA Essen brachte ihm die Kunsttherapeutin Anne Berlit das Malen bei – endlich. Im Sommer 2018 kam Achenbach wieder auf freien Fuß – mit rund 16 Millionen Euro Schulden, die er natürlich nie zurückzahlen kann. Er lebt mietfrei auf einem ehemaligen Bauernhof in Kaarst bei Düsseldorf und träumt davon, auf dem Gelände einen Skulpturenpark zu eröffnen. Dazugelernt hat er offenbar nichts.
Bei der Preview im Hamburger Abaton-Kino erläuterte die Regisseurin Birgit Schulz sehr offen die Schwierigkeiten bei den Dreharbeiten. Von Anfang an war ihr klar, sie wolle keine Helden-Saga verfilmen. Vertraglich hatte sie sich von Achenbach zusichern lassen, dass er keine Einspruchsrechte bei der Sichtung des fertigen Produkts hat. Sie gab auch freimütig zu: „Besonders sympathisch kommt die schillernde Figur Achenbachs nicht rüber.“ Nur eines bedauerte sie: Keiner der betroffenen Künstler wollte für ein Interview vor die Kamera treten. In diesen Kreisen ist Achenbach längst eine „Persona non grata“.
DER ILLUSIONIST ist das erfrischend vergnügliche Porträt eines Schaumschlägers, der tief gefallen ist. Und ein hintergründiger Essay-Film über die Wechselbeziehungen von Macht, Geld und Kunst.
Der Illusionist (Deutschland 2022)
95 Minuten
Dokumentation
Birgit Schulz
Birgit Schulz
Helge Achenbach
Real Fiction Filmverleih e.K.