Das iranische Kino beim 30. Filmfest Hamburg

Filme aus dem Iran sind seit Jahren ein Schwerpunkt beim Filmfest Hamburg. Hier sind unabhängige Filmemacher am Werk, die ihre Sicht auf ein Land zeigen, das sie trotz aller Repressalien mit poetischen Wunderwerken bereichern. Doch diesmal war alles anders: Wenige Wochen vor Beginn des Filmfestes wurde bekannt, dass die renommierten Regisseure Jafar Panahi, Mohammad Rasoulof und Mustafa Al-Ahmad in Haft genommen worden waren. Al-Ahmad wurde inzwischen auf Bewährung entlassen, Panahi und Rasoulof sitzen immer noch im Knast. Eine Schande!

No Bears

Originaltitel: Khers Nist (Iran 2022), Länge: 107 min, Regie: Jafar Panahi Drehbuch: Jafar Panahi, Darsteller*innen: Jafar Panahi, Naser Hashemi, Vahid Mobaseri, Bakhtiar Panjei, Mina Kavani, Narjes Delaram, Reza Heydari

So kam dem neuen Film von Jafar Panahi, der beim Filmfest gezeigt wurde, eine besondere Bedeutung zu: Die Tragikomödie NO BEARS ist in typischer Film des Iraners, der 2018 im Hamburg mit dem Douglas-Sirk-Preis ausgezeichnet wurde. Schon damals durfte er nicht persönlich in die Hansestadt kommen.

NO BEARS erzählt in Panahis unverwechselbarem Stil die Geschichte zweier Liebespaare. Der sich selbst spielende Panahi hat sich in einem abgelegenen Dorf einquartiert, um mittels Laptop die Dreharbeiten seines Films zu begutachten. Aufgrund seines seit Jahren bestehenden Hausarrests darf er nicht persönlich am Drehort anwesend sein. In diesem Film versucht ein verheiratetes Paar verzweifelt, die naheliegende Grenze zur Türkei illegal zu überwinden. Gleichzeitig wirft der Dorfälteste dem Regisseur vor, heimlich ein Liebespaar fotografiert zu haben, obwohl die Frau längst einem anderem versprochen ist. Panahi wird genötigt, einen Eid abzulegen, das Foto nicht gemacht zu haben.

Auch dieser neue Film von Jafar Panahi lebt von seinen verschiedenen Ebenen. Panahi ist DER Meister des Meta-Films! Hier ist alles artifiziell gebrochen – und wir Zuschauer müssen uns den Rest dazudenken. Am Ende ist das Paar aus dem Dorf tot, und das Ehepaar traut sich nicht über die gefährliche Grenze. Panahi macht, was er am besten kann: Er sitzt ständig hinter dem Steuer seines geliehenen Autos. (Nicht einmal einen eigenen Wagen darf er noch besitzen. Armer Iran!)

NO BEARS ist ein Meisterwerk, auf das wir uns alle beim deutschen Kinostart freuen dürfen! Schade, dass die anderen Filme aus dem Iran diesmal nicht ganz das gewohnte Niveau halten konnten.

Beyond the Wall

Originaltitel: Shab, Dkheli, Divar (Iran 2022), Länge: 126 min, Regie: Vahid Jalilvand, Drehbuch: Vahid Jalilvand Darsteller*innen: Navid Mohammadzadeh, Diana Habibi, Amir Aghaee, Saeed Dakh, Danial Kheirikhah, Alireza Kamali

BEYOND THE WALL von Vahid Jalilvand ist eine vertrackte, kafkaeske Parabel über einen blinden Mann, der in seiner kargen Wohnung ein tristes Dasein führt. Nach einem von der Polizei brutal niedergeschlagenen Arbeiteraufstand flüchtet eine Frau zu ihm, um Schutz zu suchen. Doch die verschiedenen Zeitebenen scheinen nicht zusammen zu passen – wie in einer Möbius-Schleife widerspricht sich alles, und wir Zuschauer werden im Kinosaal ziemlich hilflos zurückgelassen. Die brisante politische Ebene ist schnell überdeutlich – doch um welchen Preis?

Holy Spider

Originaltitel: Holy Spider (Dänemark, Deutschland, Schweden, Frankreich 2022), Länge: 115 min, Regie: Ali Abbasi, Drehbuch: Ali Abbasi, Afshin Kamran Bahrami, Darsteller*innen: Mehdi Bajestani, Zar Amir Ebrahimi, Arash Ashtiani, Forouzan Jamshidnejad, Alice Rahimi, Sara Fazilat, Sina Parvaneh

Für HOLY SPIDER von Ali Abbasi erhielt Zar Amir Ebrahimi in Cannes die Silberne Palme für die beste Darstellerin. Sie spielt eine engagierte Journalistin, die einem iranischen Serienmörder auf der Spur ist. Sie ist sich sogar nicht zu schade, als Lockvogel zu dienen und kommt dabei fast ums Leben. Der Thriller des inzwischen in Schweden lebenden Ali Abbasi wirkt stellenweise wie ein gut gemachter „Tatort“ – nur gegen Ende holt er den moralischen Holzhammer hervor, der uns alle verstimmt. Das muss nicht sein!

World War III

Originaltitel: Jang-e Jahani Sevom (Iran 2022), Länge: 107 min, Regie: Houman Seyedi, Drehbuch: Houman Seyedi, Arian Vazir Daftari, Azad Jafarian, Darsteller*innen: Mohsen Tanabandeh, Mahsa Hejazi, Neda Jebreili, Navid Nosrati

In der Farce WORLD WAR III von Houman Seyedi wird ein Komparse dazu verdonnert, in einem iranischen KZ-Film Adolf Hitler zu spielen. Nachts findet er mit seiner Freundin heimlich Unterschlupf in einem Haus, das während der Dreharbeiten als Nazi-Villa dient. Dummerweise wird das Gebäude nach Drehschluss gesprengt. Hier hält sich der Witz in Grenzen!

Im Rahmen der Berichterstattung

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