Seit seinem Debüt von 1970 gilt der Regisseur Dario Argento als unumschränkter Meister des sogenannten„Giallo“-Films, der speziellen italienischen Variante des Horror-Thrillers. Mit seinen beiden absoluten Meisterwerken „Profondo rosso“ („Rosso – Farbe des Todes“, 1975) und „Suspiria“ (1977) hat er längst Filmgeschichte geschrieben. Der inzwischen 81-jährige Argento bringt jetzt nach zehn (!) Jahren Pause mit DARK GLASSES – BLINDE ANGST wieder einen Film ins Kino. Gleich vorweg: Hier verbinden sich geniale Momente mit Altersweisheit und leider auch ein bisschen Routine. Doch seien wir dankbar, dass wir ihn noch haben.
Der Beginn ist für einen Argento-Film extrem ungewöhnlich. Die Kamera schwenkt minutenlang über ein leeres Rom. Zwischen den hässlichen Betonbauten verlieren sich nur wenige Menschen, die mit dunklen Gläsern (Titel!) gebannt in den Himmel schauen. Alle warten auf die totale Sonnenfinsternis. Diese komplette Sequenz hat der Regisseur als Hommage an seinen berühmten Kollegen Michelangelo Antonioni inszeniert, dessen unsterblicher Film „L’eclisse“ („Die Sonnenfinsternis“; deutscher Verleihtitel: „Liebe 1962“) so „leer“ endet, wie Argentos Film anfängt. Eine bizarre Allianz zweier so unterschiedlicher Regisseure!
Doch eine andere Sache treibt die Einwohner um: Ein geheimnisvoller Serienmörder hat es auf römische Sexarbeiterinnen abgesehen und bringt sie auf bestialische Weise um. Die junge, schöne Diana (Ilenia Pastorelli), auch in diesem Gewerbe beschäftigt, kann den ersten Angriff des Killers abwehren – doch auf der Flucht verschuldet sie einen Autounfall, bei dem das Ehepaar des anderen Wagens stirbt. Nur der hinten sitzende chinesische Junge Chin (Xinyu Zhang) überlebt unverletzt. Diana selbst erblindet nach dem Zusammenstoß. Sozialarbeiterin Rita (Asia Argento, die Tochter des Regisseurs) besorgt ihr einen scheinbar bösartigen Blindenhund, der so erzogen ist, dass er nur Diana gehorcht. Und diese kümmert sich von nun an um Chin. Doch der Killer mordet weiter, und die Polizei schaut hilflos zu…
Eine Blinde und ein kleiner Junge auf Mördersuche: So entstehen spannende Krimis. Doch wer schon mal einen Argento-Film gesehen hat, weiß, dass die klassische „Whodunit“-Pointe („Wer war’s?“) den Regisseur nicht besonders interessiert. Alfred Hitchcock ging es übrigens genauso! Schon nach der Hälfte des Films ahnen wir Zuschauer, wer der Mörder ist. Doch wir bleiben gebannt im Kinosessel sitzen. Das Ungewöhnliche am Argento-Stil ist nämlich die Inszenierung der Tötungen: Hier wird nicht mit Blut gespart! Und jeder der Morde hat einen anderen Rhythmus. Dunkle Räume und die Ausweglosigkeit der hilflosen Opfer: Das ist Argentos Welt. Dass nicht alles funktioniert, müssen wir in Kauf nehmen: Die Szene, in der eines der Opfer im Sumpf versinkt und von Wasserschlangen angegriffen wird, wirkt nur albern und unglaubwürdig.
Am Ende darf Diana froh sein, ihren Blindenhund an ihrer Seite zu haben – ohne zu viel zu verraten. Dieses Finale ist grandios! Vieles hat Argento in meinen Augen leider zu glatt inszeniert – da bleibt so manches an der Oberfläche. Doch das Timing stimmt. Schon nach 86 Minuten ist Schluss. Ein kurzer, knackiger Thriller eines Altmeisters – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Nur die elektronische Musik wirkt eher einschläfernd.
Occhiali Neri (Italien / Frankreich 2022)
86 Minuten
Horror
Dario Argento
Dario Argento
Ilenia Pastorelli, Asia Argento, Xinyu Zhang, Andrea Gherpelli
Alamode Filmdistribution OHG