Beau is Afraid

11.05.2023

Filme des 36-jährigen US-amerikanischen Regisseurs Ari Aster sind immer eine Herausforderung – und eine Zumutung. Seine beiden ersten Spielfilme – „Hereditary – Das Vermächtnis“ (2018) und „Midsommar“ (2019) – haben uns wohl alle zutiefst verstört. Die ständigen Brüche und das kunstvolle Spiel mit dem Horror-Genre sind inzwischen sein Markenzeichen. Schon sehr früh hatte Aster seinen unverwechselbaren Stil gefunden. Und auch sein jüngstes Werk BEAU IS AFRAID stößt an unsere Grenzen. Zu allem Überfluss ist der Film stolze 179 (!) Minuten lang. Da kommt einiges auf die Zuschauer zu.

Schon als Filmstudent hatte Ari Aster mit dem Drehbuch begonnen und so lange daran gefeilt, bis er zufrieden war. Aber er hat ein bisschen zu viel hineingepackt. BEAU IS AFRAID ist ein Sammelsurium voller Symbolik, Mythen und literarischer Anspielungen: Die Bibel, Sigmund Freud und Franz Kafka sind nur einige Bezugspunkte dieses überlangen Albtraums eines Paranoikers.

Das Weichei Beau (Joaquin Phoenix) lebt in einem schäbigen Apartment in einer nicht näher genannten Stadt, offenbar New York. Da seine Mutter eine erfolgreiche Unternehmerin irgendwo im Süden ist, muss der Sohn nicht arbeiten. Stattdessen rennt er ständig zu seinem Psychotherapeuten und klagt ihm sein Leid. Seine Paranoia machen ihm das Leben zur Hölle, er wird tagein, tagaus von seinen Nachbarn gemobbt, und auf den Straßen macht ein nackter Serienmörder Jagd auf Unschuldige. Der Therapeut verschreibt ihm ein neues, sehr viel stärkeres Medikament, aber mit dem Hinweis: „Immer mit viel Wasser einnehmen.“ Diese Wassersymbolik durchzieht übrigens den ganzen Film: Beau heißt mit Nachnamen Wassermann (auch in der Originalfassung), seine Mutter wohnt in Wasserton und am Ende fährt er mit einem Boot in eine Unterwasserhöhle. (Aber so weit sind wir noch nicht!)

Am nächsten Morgen will er seine Mutter besuchen – alljährlich am Todestag seines Vaters, der angeblich auf bizarre Weise umkam: Bei Beaus Zeugung starb er beim Orgasmus an einem Herzinfarkt. Kein Wunder, dass das Muttersöhnchen immer noch Jungfrau ist. Nach einer schlaflosen Nacht – Schuld war der böse Nachbar – verpasst er den Flieger und vertröstet seine Mutter, dass er später kommt. Bei seinem zweiten Anruf meldet sind ein Paketbote: Völlig verstört muss dieser gestehen, dass im Wohnzimmer der Villa eine weibliche Leiche liegt – ohne Kopf. Offenbar ist Beaus Mutter von einem Kronleuchter erschlagen worden. Panisch rennt Beau zum nächsten Supermarkt auf die Straße, da ihm das Wasser ausgegangen ist – lässt aber dummerweise den Wohnungsschlüssel stecken. Schon haben seine Nachbarn das Apartment besetzt. Am Ende landet Beau nackt auf der Straße, wird von der Polizei als Mörder verdächtigt und kracht bei der Flucht gegen die Kühlerhaube eines fahrenden Autos.

Diese geniale erste Stunde des Films inszeniert der Regisseur als filmische Achterbahnfahrt, ganz aus der Sicht des Paranoikers. Der Zuschauer ist sich dabei nie sicher: Ist das alles real oder ein einziger Albtraum? Ein Höhepunkt: Als Beau in der Badewanne liegt, hängt über ihm an der Decke eine menschliche Spinne (Denis Ménochet) und fällt auf ihn drauf – als sein ganz persönlicher Teufel.

Leider hält diese Spannung nicht lange vor – die restlichen zwei Stunden sind doch extrem literarisch geprägt. Beau wacht im Haus der Unglücksfahrer (Nathan Lane, Amy Ryan) auf, die ihm das knallbunte Jungmädchenzimmer ihrer Tochter überlassen und ihm versprechen, dass er rechtzeitig zur Beerdigung seiner Mutter kommt. Stattdessen flieht Beau in die Wälder, wo er auf eine archaische Landkommune trifft, die ein merkwürdiges Theaterstück vor gemalten Kulissen – wer denkt da nicht an „Der Zauberer von Oz“ – aufführt. Hier sieht er in einer Parallelwelt sein Leben, wie es hätte verlaufen können: als Vater von drei Söhnen, die er nach Jahren wiederzufinden hofft. Beau mit weißem Rauschebart als eine Art Moses-Figur.

Nach langer Odyssee endlich in Wasserton angekommen, muss er feststellen: Seine Mutter (Patti LuPone) ist quicklebendig und putzt ihn wie gehabt zynisch herunter. Nach einer verstörenden Liebesnacht mit Elaine (Parker Posey), die er als Teenager (Armen Nahapetian) bei einer Kreuzfahrt mit seiner Mutter (in jung: Zoe Lister-Jones) kennengelernt hatte, landet Beau in der oben erwähnten Unterwasserhöhle, wo ihm in einem vollbesetzten Amphitheater der Schauprozess gemacht wird. (Mehr Kafka geht nicht!)

Ari Aster und sein kongenialer Kameramann Pawel Pogorzelski haben in BEAU IS AFRAID viel gewollt und viel erreicht. Die Ideen hätten locker für zwei Filme gereicht. Aber vieles wirkt hier überladen und redundant. Europäisches Kunstkino und schriller Hollywood-Horror wollen nicht immer zusammen passen. Immerhin: Toll, wie Joaquin Phoenix die drei Stunden fast allein tragen muss – und das gelingt ihm bravourös.

BEAU IS AFRAID ist ein mutiger Versuch, das moderne Kino ästhetisch zu erneuern. Wenn wir Zuschauer aber nach 179 Minuten völlig erschöpft den Kinosaal verlassen, müssen wir uns sagen: leider nur ein Versuch!

Trailer

ab16

Originaltitel

Beau is Afraid (USA 2023)

Länge

179 Minuten

Genre

Abenteuer / Komödie / Drama

Regie

Ari Aster

Drehbuch

Ari Aster

Darsteller

Joaquin Phoenix, Nathan Lane, Amy Ryan, Stephen McKinley Henderson, Hayley Squires, Denis Ménochet, Kylie Rogers, Parker Posey, Patti LuPone

Verleih

Leonine Distribution GmbH

Filmwebsite

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