Die Stimme und Songs der legendären Soul-/Jazzsängerin Amy Winehouse sind das zentrale Erzählmotiv des Biopics BACK TO BLACK, das von der britischen Filmemacherin Sam Taylor-Johnson („Fifty Shades Of Grey“) inszeniert wurde. Und die ist durchaus musikaffin: Bereits 2009 lernten wir in ihrem Debütfilm „Nowhere Boy“ den späteren Beatles-Musiker John Lennon in seinen frühen Jahren kennen.
Im vielfach preisgekrönten Dokumentarfilm „Amy“ (2015) von Asif Kapadia war das Schicksal von Amy Winehouse bereits hautnah und fast unerträglich intensiv zu erleben: Neben der phänomenalen Karriere wurden hier Probleme mit privaten Beziehungen, ein Hang zur Selbstzerstörung und vor allem die Drogenabhängigkeit, die zum frühen Tod mit nur 27 Jahren führte, verhandelt. Vater Mitch Winehouse kritisierte damals, dass seine Tochter falsch dargestellt worden sei.
In BACK TO BLACK wählt Regisseurin Taylor-Johnson die Musik als Motor der Geschichte. Großmutter Cynthia (Lesley Manville) ist das große künstlerische Vorbild und zugleich die Vertrauensperson von Amy. Die Begeisterung für Jazz und längst vergangene Zeiten und Moden rührt daher. Auch Vater Mitch (Eddie Marsan) greift im privaten Rahmen gerne zum Gesangsmikrofon, wenn er nicht gerade Tochter Amy mit seinem Taxi durch London kutschiert. Er spielt eine große Rolle als überaus besorgter und kümmernder Elternteil, also kein Grund zur Klage.
Die britische Schauspielhoffnung Marisa Abela (bekannt aus der HBO/BBC-Fernsehserie „Industry“ und „Barbie“) konnte die Rolle als Amy Winehouse in BACK TO BLACK ergattern – und überzeugt auf ganzer Linie: ein monatelanges Gesangs- und Sprachtraining resultierte in einer perfekten Intonation bei Cockney Slang und Gesang. Maske und Kostüm sorgen mit viel Liebe zum Detail (Nase, Tattoos, Frisur, Piercing) dafür, dass wir ihr die Winehouse komplett abkaufen. Soviel Authentizität gibt es selten in Biopics über Popstars zu bestaunen. Und, ja: Abela singt in allen Szenen selber, das ist kein Playback!
Wir erleben Amy Winehouse als Jugendliche und junge Frau, noch vor ihrem künstlerischen Durchbruch. Sie schreibt Songs auf dem Bett in ihrer kleinen Bude sitzend, sich selbst begleitend auf der Akustikgitarre (auch hier spielt Marisa Abela). Oder sie läuft durch ein Arbeiterviertel im Norden Londons mit „That Thing“ von Lauryn Hill auf den Kopfhörern. Im Taxi von Vater Mitch lauscht sie Jazz-Klassikern – und fragt sich, warum nicht mehr Menschen die Genialität dieser Songs erkennen. Dem Alkohol ist das Scheidungskind hier bereits hoffnungslos verfallen.
Nach ersten Auftritten in kleinen Pubs und Jazz-Clubs, wo noch Vater Mitch als Manager fungiert, macht Amy einen Deal mit Simon Fuller, dem Entdecker der Popband S Club 7. Als echte Künstlerpersönlichkeit stellt sie aber gleich klar, dass sie kein fucking Spice Girl sei. Die Lieder der Retro-Ikone berühren gerade deshalb, weil sie echt und tief empfunden sind. Das ist keine Kunst vom Fließband, da wird nichts auf den Leib geschrieben. Amy Winehouse hat nur ihre Stimme und ihre Songs, Ruhm und Geld sind ihr hingegen egal.
Drehbuchautor Matt Greenhalgh hat sich für BACK TO BLACK mit Zeitzeugen getroffen und viel recherchiert, aber sich auch Szenen ausgedacht. Etwa das Kennenlernen von Amy und dem Frauenschwarm Blake (überzeugend: Jack O’Connell) in einem Pub. Er spendiert ihr einen Drink, dann spielen sie Poolbillard. Er schmeißt eine Münze in die Jukebox – und es ertönt: Amy Winehouse mit „Fuck Me Pumps“ aus ihrem Debütalbum „Frank“ (2003). Blake singt den Song lauthals mit, und realisiert da erst, wer vor ihm steht. Beim nächsten Aufeinandertreffen legt er „Leader Of The Pack“ von den Shangri-Las auf und Amy ist vom Sound dieser 60s Girlgroup sofort angetan. Da haben sich Seelenpartner gefunden.
Es kommt wie es kommen muss: Die toxische Beziehung voller Drogenexzesse, stets verfolgt von Paparazzis, endet jäh – und Amy hat nun das Songmaterial für ihr zweites Album „Back to Black“ (2006) beisammen (das sich übrigens über 20 Millionen Mal verkaufte). Die Künstlerin mit der charakteristischen Beehive-Frisur spielt bei der Grammy-Verleihung 2008 per Schalte mit ihrer Band ein grandioses Liveset aus England. Sie gewinnt fünf Preise und ruft laut, „die sind für London!“
Auch Sam Taylor-Johnson inszeniert BACK TO BLACK als eine Art Liebesbeweis für diese Stadt, als großartigen Musikfilm und als (wenn auch oberflächliche) Studie über den körperlichen und geistigen Verfall durch Alkohol und andere Drogen. Amy Winehouse war nie lebensfähig im alltäglichen Sinn – hier ist (wie so oft) große Kunst aus Leid entstanden. Vielleicht hätte die Regisseurin etwas mehr leiden müssen, denn die Geschichte wird arg konventionell, episodenhaft und zu wenig stringent erzählt. Die Doku „Amy“ hat mehr gepackt und sei an dieser Stelle ausdrücklich als Ergänzung und Korrektiv empfohlen.
Back to Black (Großbritannien 2023)
123 Minuten
Drama / Biographie
Sam Taylor-Johnson
Matt Greenhalgh
Marisa Abela, Jack O’Connell, Eddie Marsan, Lesley Manville, Juliet Cowan, Sam Buchanan
Studiocanal GmbH