Mit sehr viel Geld in der Hinterhand wollte Hollywood-Wunderkind Damien Chazelle („Whiplash“, „La La Land“) mit BABYLON – RAUSCH DER EKSTASE nichts weniger als eine Sittengeschichte der Traumfabrik beim Übergang vom Stumm- zum Tonfilm aufzeigen. Doch warum muss der fertige Film so langweilig sein? Und das bei einer Länge von 189 (!) Minuten…
Als Vorbild diente natürlich die berühmt-berüchtigte Skandal-Chronik „Hollywood Babylon“ des US-Avantgarde-Filmemachers Kenneth Anger, die offensichtlich auch für den Titel des Epos sorgte. Dieses Buch mit seinen grellen, schonungslosen Fotos und wilden Geschichten von Mord und Totschlag sollte wirklich jeder Filmfan bei sich zu Hause stehen haben. Und Chazelle griff Angers Prinzip direkt auf: bloß kein Mainstream – trotz der vielen Millionen Dollar, die hinter dem Projekt stehen. BABYLON – RAUSCH DER EKSTASE ist derb, dreckig, obszön und jenseits des guten Geschmacks. Hier fragt sich wohl jeder: Wie hat der Regisseur die Hollywood-Zensur ausgetrickst? Natürlich half ihm die Starbesetzung mit Brad Pitt und Margot Robbie!
Der Anfang ist grandios: Manny Torres (Diego Calva), ein inzwischen in Kalifornien lebender Mexikaner, arbeitet als „Mädchen für alles“ bei diversen Hollywoodfirmen. Diesmal hat er den Auftrag, einen Elefanten (!) als besondere Attraktion zu einer exquisiten Filmparty zu schaffen. Als er und sein Kumpel helfen, den Wagen mit dem exotischen Tier einen Hügel hinaufzuschieben, werden beide von diesem (pardon!) vollgeschissen.
Als er den Elefanten in der Villa abgeliefert hat, wird er vor dem Haus vom Möchtegern-Starlet Nellie LaRoy (Margot Robbie) angesprochen: Könnte er sie durch die Hintertür bei der Party einschleusen? Und dort entpuppt sich die leicht bekleidete Schöne als Star des Abends. Inmitten nackter kopulierender Paare liefert Nellie den Auftritt ihres Lebens hin – während eine farbige Jazzband unter der Führung des Trompeters Sidney Palmer (Jovan Adepo) für die musikalische Untermalung sorgt.
Als ein dicker nackter Partygast von einem ebenso nackten Starlet mit Natursekt „beglückt“ wird, und die Frau kurz danach stirbt, stört das die Stimmung nur kurz. (Dies ist natürlich eine Anspielung an den Skandal um den Stummfilm-Star Fatty Arbuckle, dessen Karriere damals nach diesem Skandal schlagartig beendet war.)
Unangefochtener Star des Sex-Party ist die Hollywood-Größe Jack Conrad (Brad Pitt). Diese Figur ist überdeutlich angelegt an die Schauspieler John Gilbert, Rudolph Valentino und Douglas Fairbanks. Eines hatten dies drei gemeinsam: Erfolge im Tonfilm blieben weitgehend aus. Und zwei Schauspielerinnen lieferten das Vorbild für Nellie LaRoy ab: Clare Bow und Joan Crawford.
Immerhin: Nellies Party-Auftritt hatte Erfolg. Am nächsten Tag darf sie sich bei den Dreharbeiten in der kalifornischen Wüste einfinden – sie ist engagiert. Und dieser Teil ist einer der (wenigen) Höhepunkte des Films. Chazelle inszeniert diese Dreharbeiten als eine einzige überlange Plansequenz: Mit hektischen Kamerabewegungen verfolgt er die einzelnen Filmaufnahmen, die nur notdürftig mit Zeltplanen voneinander getrennt sind. Zwischendrin versucht ein deutsch sprechender Regisseur (Erich von Stroheim?) verzweifelt, bei einer Schlacht zwei Komparsenheere zu koordinieren.
Bei den ersten Tonfilmszenen ist dann alles anders: Die Schauspieler müssen direkt auf dem Kreidekreuz unterhalb des Mikrofons stehen bleiben, während der Kameramann in einer schalldichten Kabine alles aufnimmt, weil die damalige Technik so laut war. Einer von ihnen geht dabei leider drauf.
Ideen hat der Film viele – doch die Stringenz fehlt. Die drei Hauptcharaktere haben uns nichts zu erzählen. Filmfans spüren in jeder Sekunde die gewollte Anspielung – BABYLON – RAUSCH DER EKSTASE ist gespickt mit Zitaten. Aber warum muss Brad Pitts Figur so blass bleiben? Nellie hat ein schmerzhaftes Abenteuer mit einer Klapperschlange, Mannie landet wegen Spielschulden bei einem Gangster (Tobey Maguire), der ihn nötigt, bei einem illegalen Männertreff dabei zusein, wo ein Mann eine lebendige Ratte verspeist. (Hier ist Dantes „Inferno“ nicht weit.)
Erst 1952 kehrt Mannie nach Hollywood zurück, um tränenüberströmt im Kino Gene Kelly zu bewundern, wie dieser „Singin’ In The Rain“ vorträgt – ein Klassiker über den Übergang vom Stumm- zum Tonfilm. Im pathetischen Finale erlaubt sich Damien Chazelle einen Schlenker, den er sich hätte schenken können. In einer zehnminütigen Filmclip-Orgie präsentiert er uns die Geschichte des Films – von 1895 bis heute: Meliès’ „Reise zum Mond“ bis „Avatar“, „Ben Hur“ bis „2001“, das durchgeschnittene Auge in „Ein andalusischer Hund“, die Lichtgestalten von Louise Brooks und Anna Karina. Es ist alles da! Doch um welchen Preis? Hier zeigt sich: Mit seinen vielen Millionen wollte Damien Chazelle nur angeben und sich selbst ein Denkmal errichten – BABYLON – RAUSCH DER EKSTASE ist eitel und selbstgefällig. Schade!
Babylon (USA 2022)
189 Minuten
Drama / Historie
Damien Chazelle
Damien Chazelle
Brad Pitt, Margot Robbie, Diego Calva, Jean Smart, Jovan Adepo, Li Jun Li, P.J. Byrne, Lukas Haas, Olivia Hamilton, Max Minghella, Rory Scovel, Katherine Waterston, Tobey Maguire, Flea, Samara Weaving, Jeff Garlin, Eric Roberts, Ethan Suplee
Paramount Pictures Germany GmbH