Eigentlich beschäftigen wir uns bei nochnfilm.de nur mit Kinofilmen. Aber die RTL+-Serie ANGEMESSEN ANGRY von Elsa van Damke ist einfach zu gut und zu wichtig, um sie zu ignorieren…
In der Regel lasse ich aus thematischen Gründen die TV-Sektion bei einem Filmfestival links liegen. Doch bei der Durchsicht des Programms vom Filmfest München stach mir in diesem Jahr ein Name ins Auge, der mein Interesse weckte: Elsa van Damke. Vor etwas mehr als einem Jahr gewann sie mit ihrem eindrucksvollen Kurzfilm „Lang lebe der Fischfriedhof“ (noch bis 07.03.2026 in der ARD-Mediathek zu sehen) beim Filmfest Emden-Norderney einen Preis. Zeit also, einmal zu schauen, wohin sich die Karriere dieser vielversprechenden Filmemacherin entwickelt hat. Aber auf das, was mich beim Screening aller fünf Folgen der Serie in der Astor Film Lounge im Arri erwartete, hatte ich nicht gerechnet.
Doch worum geht es überhaupt? Das Zimmermädchen Amelie (Marie Bloching) entwickelt nach einer Vergewaltigung plötzlich Superkräfte. Fortan erkennt sie Sexualstraftäter und macht es sich zur Aufgabe, diese zu bekämpfen. Dabei verdrängt sie ihr eigenes Trauma, bis sie irgendwann auf ihren eigenen Vergewaltiger trifft…
Ein wirklich schweres Thema, was Elsa van Damke hier aufgreift. Wie wichtig es ist, zeigen die Meldungen der letzten Tage. Die Gewalt an Frauen ist erneut angestiegen, 2023 wurden 938 Mädchen und Frauen Opfer von versuchten oder vollendeten Tötungsdelikten, das sind 32,3 Prozent aller Opfer von Tötungsdelikten. Mit 70,5 Prozent sind die weit überwiegende Zahl der Opfer Häuslicher Gewalt Frauen und Mädchen. Im Berichtsjahr stieg die Zahl der weiblichen Opfer um 5,6 Prozent auf 180.715 an (2022: 171.076). Ich könnte an dieser Stelle die Pressemitteilung des Bundesministeriums des Innern noch beliebig weiter zitieren, doch eigentlich sollten bereits diese wenigen Infos für einen Aufschrei sorgen.
Elsa van Damke ist es wie viele andere Frauen leid, dass sich in unserem Land diesbezüglich nichts ändert. Also hat sie ANGEMESSEN ANGRY entwickelt und gedreht. Im Rahmen des Wettbewerbs „Storytellers“, bei dem RTL+ jungen Talenten ein kreatives Zuhause bieten und gleichzeitig spannende Stimmen und Geschichten für die junge Zielgruppe finden möchte, entstanden so fünf Folgen à 23 Minuten, die in München als durchgängiger Film gezeigt wurden. Dabei wurde sofort eines klar: Dieser Stoff, diese Serie gehört eigentlich auf die große Leinwand. In knapp zwei Stunden bin ich aus dem Staunen nicht mehr herausgekommen. Selten habe ich so deutlich die Vision einer Filmemacherin erkennen können. Bei ANGEMESSEN ANGRY stimmt einfach alles – egal welches Gewerk man betrachtet.
Da wäre zuerst einmal die Geschichte an sich. Eine junge Frau, die etwas Unsägliches ertragen muss, so wie leider viel zu viele Frauen in unserer Gesellschaft. Allein das ist schon ein Schlag in die Magengrube. Doch van Damke macht daraus kein verbittertes Klischee-Drama, nein, sie öffnet sich in Richtung Komödie, ohne dabei auch nur ein einziges Mal die Schwere des Problems aus dem Blick zu verlieren. Manchen Dingen kann man ausschließlich mit Humor begegnen, aber eben nur, wenn man die eigentliche Thematik dabei nicht verdrängt. Die Balance, die van Damke hier zwischen Drama und Komödie findet, ist so präzise, dass sich andere Regisseur:innen das gerne einmal zu Herzen nehmen dürfen.
Auch die Besetzung, angefangen mit Marie Bloching („Die Discounter“) in der Hauptrolle, legt eine unfassbar lockere Performance an den Tag. Bless Amada („Kitz“), Shakiba Eftekhari-Fard, Jasmin Shakeri („Deadlines“), Laurence Rupp („Barbaren“) und Odine Johne („Lauchhammer“) spielen die ohnehin auf den Punkt geschriebenen Dialoge mit einer starken Natürlichkeit.
Von technischer Seite gibt es ebenfalls nichts zu bemängeln. Die Kamera von Doro Götz fängt die Szenen mustergültig ein, aber auch in Bezug auf Set-Design, Ton, Colorgrading und Schnitt waren offenbar ausschließlich Profis am Start. Ich kann mich nicht wirklich daran erinnern, wann zuletzt eine TV-Produktion eine solch professionelle Arbeit an den Tag gelegt hat. Das ist großes Kino, nicht mehr und nicht weniger.
Das Drehbuch, das van Damke zusammen mit Jana Forkel geschrieben hat, steckt voll kluger Ideen. So werden auf die Frage, warum unsere Heldin denn nicht zur Polizei gehen würde, um die Vergewaltigung anzuzeigen, diverse Zeitungsschnipsel eingeblendet, die die Problematik eindrucksvoll beleuchtet. In einer Episode spielen die Täter dann plötzlich in einer WWM-Parodie um die Frage „Wer wird freigesprochen?“. Damit gelingt van Damke und ihrem Team, dass vermutlich kaum jemand genervt abschaltet.
Der wichtigste Punkt ist jedoch, dass ANGEMESSEN ANGRY die Gewalt niemals zeigt. Wir hören sie zwar, aber sie findet außerhalb des Bildes statt. Und wenn von ihr erzählt wird, dann hören oder sehen wir nur die Reaktionen darauf. Damit gibt die Serie den Tätern keinen Raum, nur den Opfern. Daran sollten sich unsere Gesellschaft und unsere Medien hin und wieder mal ein Beispiel nehmen.
Dass die Serie genau am 25.11.2024 bei RTL+ startet, ist natürlich kein Zufall, denn das ist der „Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen“. Man kann vor Elsa van Damke und ihrem gesamten Team nur den Hut ziehen.
Angemessen Angry (Deutschland 2024)
5x23 Minuten
Drama / Komödie / Fantasy / Mystery
Elsa van Damke
Jana Forkel, Elsa van Damke
Doro Götz
Marie Bloching, Shakiba Eftekhari-Fard, Bless Amada, Jasmin Shakeri, Odine Johne, Laurence Rupp